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Obdachlosigkeit in der Schweiz Trotz vollen Betten: Kontroverse um Notschlafstelle für Junge

In der Notschlafstelle Pluto finden Jugendliche in Notsituationen Schutz. Nun kommt Kritik von ungewohnter Seite.

Sie ist einer der letzten Rettungsanker für verzweifelte junge Menschen. Seit einem halben Jahr ist in einem Haus beim Viererfeld in Bern die Notschlafstelle «Pluto» offen.

Nicole Maassen
Legende: «Das Haus ist häufig voll»: Sozialarbeiterin Nicole Maassen betreut die Jugendlichen und wechselt auch das Bettzeug. SRF/Matthias Baumer

«Die Jugendlichen kommen wegen Gewalt in der Familie, Konflikte in Beziehungen, psychischen Krisen oder Suchtproblemen zu uns», sagt Sozialarbeiterin Nicole Maassen zu SRF.

Pluto zählt über 1000 Übernachtungen

Wer zwischen 14 und 23 Jahre alt ist, erhält im Pluto kostenlos ein Bett in einem Einzel- oder Doppelzimmer, Mahlzeiten, kann waschen und duschen, darf zur Ruhe kommen und kriegt Beratung. Nach «Nemo» in Zürich ist dies die zweite derartige Unterkunft in der Deutschschweiz.

Einzelzimmer Pluto
Legende: Jugendliche übernachten im Pluto in Einzel- oder Doppelzimmern. SRF/Matthias Baumer

Die Nachfrage ist gross: 1045 Übernachtungen von 67 jungen Menschen zählte die private Notschlafstelle in Bern seit der Eröffnung Ende Mai in sechs Monaten. «Das Haus ist häufig voll», sagt Maassen. Zum Vergleich: Das Zürcher Pendant Nemo zählte 2021 1786 Übernachtungen.

Pluto steht für alle jungen Menschen offen. Meist sind es junge Männer. Auch solche, die auf Arbeitssuche sind oder aus einer Asylunterkunft kommen. Pluto weist nur ungefähr aus, wer – mit welchem Alter, woher, aus welchen Gründen, mit oder ohne Migrationshintergrund – in der Notschlafstelle übernachtet.

Pluto Studerstrasse
Legende: Im unscheinbaren Haus an der Studerstrasse in Bern finden Jugendliche in Not ein Dach über dem Kopf. SRF/Matthias Baumer

Somit kann es sein, dass jene, die bei Pluto Unterschlupf finden, bereits in einer sozialen Struktur sind. Und dorthin gingen, weil es vielleicht bequemer sei, als in einem Heim oder in einer Asylunterkunft. Silvio Flückiger, Leiter der Berner Interventionsgruppe Pinto, sieht dies kritisch:

Es ist heikel, wenn man eine Parallelstruktur zu bestehenden Institutionen aufbaut.
Autor: Silvio Flückiger Leiter Pinto Bern

Ihm fehlten die Informationen über die Hintergründe der Leute, welche im Pluto übernachteten. «Es gibt aber sicher Leute, die es an ihrem Ort nicht mehr aushielten. Dafür ist Pluto sicher gut», sagt Flückiger. Er wisse nicht, ob wirklich Obdachlose zu Pluto gingen. Ihm würden praktisch nie obdachlose Minderjährige auf der Gasse begegnen.

Einzelne bleiben über Wochen in Notschlafstelle

In Bern bleiben die jungen Menschen im Schnitt zwei Wochen. Einzelne bleiben aber über mehrere Wochen oder gar Monate. Dies obschon sie morgens um 9 Uhr rausmüssen und erst um 18 Uhr wieder in die Einrichtung gelassen werden.

«Wir nehmen jeden Menschen auf», betont Maassen. Die Mehrheit komme aus dem ganzen Kanton, nicht wenige kämen aus anderen Kantonen oder aus dem Ausland.

Pilotprojekt dauert drei Jahre

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In Bern gibt es zwar bereits Notunterkünfte für Jugendliche. Die Behörden müssen ihnen dieses Bett aber zuweisen, was Zeit braucht. Und die beiden bestehenden privaten Notschlafstellen in der Stadt nehmen nur Volljährige auf. Die Notschlafstelle speziell für Jugendliche soll eine Lücke schliessen.

Das Pilotprojekt dauert drei Jahre. Kostenpunkt: 2 Millionen Franken. Finanziert wird es durch Spenden, Stiftungen und Kirchen. Die Stadt Bern hat den Umbau der Liegenschaft teilweise finanziert.


Auch Ralph Miltner, Koordinator Wohn- und Obdachlosenhilfe bei der städtischen Sozialhilfe, stellt die Frage, ob der Bedarf nicht schon durch andere Institutionen abgedeckt seien. Es gebe im Kanton schon Notunterkünfte für Minderjährige sowie eine Notschlafstelle für über 18-Jährige.

Trotz der guten Belegung sei noch nicht ganz klar, ob Pluto wirklich ein Bedürfnis entspreche. Dafür sei ihm Pluto zu wenig transparent. Und fügt an: Es sei häufig so, dass soziale Einrichtungen auf private Initiative entstünden.

Daran glaub auch Sozialarbeiterin Maassen: «Es ist gut, dass es Pluto gibt. Aber auch erschreckend, dass es das Angebot überhaupt braucht.»

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 28.11.2022 ; 

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