«Einspruch euer Ehren!», ruft die Anwältin, im Publikum wird Gemurmel laut, bis die Richterin in schwarzer Robe und weisser Perücke mit dem Hammer für Ruhe sorgt und antwortet: «Stattgegeben!»
So oder ähnlich dürften sich viele eine Gerichtsverhandlung vorstellen. Am obersten Schweizer Gericht funktionieren die Dinge jedoch anders. Weil das Bundesgericht als letzte Instanz über Rechtsfragen entscheidet, gibt es weder Plädoyers von Anwälten noch Zeugenbefragungen; vieles wird schriftlich erledigt. Auch Roben und Perücken gibt es in der Schweiz nur in Filmen.
Wie es am höchsten Schweizer Gericht stattdessen zu und hergeht, das konnten Besucherinnen und Besucher am Wochenende selbst erleben: Zum 175-Jahr-Jubiläum der Schweizerischen Bundesverfassung öffnete das Bundesgericht die Türen zu seinem Hauptsitz im Stadtpark «Mon Repos» in Lausanne.
Volksfest in altehrwürdigen Gemäuern
Draussen brutzeln Würste auf dem Grill, Kinder (und Junggebliebene) dürfen an einem Malwettbewerb teilnehmen und vor dem Gerichtsgebäude stehen Festzelte. «Es soll ein Anlass sein für die Bevölkerung», sagt Mediensprecher Peter Josi.
Drinnen geht es ernsthafter zu und her: Es gibt eine Ausstellung und Führungen durch die Räumlichkeiten, die 1927 fertiggestellt wurden. Das Gebäude ist im neoklassischen Stil erbaut worden, während die Inneneinrichtung im Stil des Art Déco gehalten ist: mit Holztäfelung, Marmorwänden und Blumenranken. Alles sehr edel und hochwertig.
Als sich ein Junge im Gerichtssaal auf den Stuhl des Vorsitzenden setzen will, eilt ein Sicherheitsmitarbeiter heran und verscheucht ihn. Faxen auf dem Richterstuhl – das wäre dann offenbar doch zu viel der Volksnähe.
Papierkorb und Mentalität aus den 1920er Jahren
Die Besuchenden erhielten auch die Gelegenheit, in einen geheimen Raum zu blicken: Das Vorbereitungszimmer, wo Richter und Richterinnen vor einer öffentlichen Sitzung einen letzten Kaffee trinken und ihre Krawatten richten. «Die Inneneinrichtung ist im Originalzustand erhalten», erklärt Antje Van Mark. «Die Lampen, die Tapeten, die Möbel – sogar der Papierkorb ist aus den 1920er Jahren.»
An den Wänden hängen Porträts der ersten Richter des Gerichts – allesamt Männer. «Die erste Bundesrichterin wurde 1974 gewählt», erklärt Van Mark. Sie sei inzwischen verstorben, habe aber in früheren Interviews berichtet, sie sei von manchen männlichen Kollegen während Jahren nicht gegrüsst worden.
«Keine Kabinettsjustiz»
Die Zeiten haben sich geändert. «Ich bin froh, dass ich heute eine Richterin treffen konnte», bedankt sich eine Besucherin bei einer Bundesrichterin, die ihr Auskunft zu ihrer Arbeit gegeben hat. «Und ich bin froh, dass wir uns nur heute und nicht sonst getroffen haben», antwortet die Bundesrichterin lächelnd. «Je weniger Sie mit mir zu tun haben, desto besser.»
Tatsächlich dürften die meisten Menschen in ihrem Leben kaum je mit dem Bundesgericht zu tun haben. In einer Rede fordert Yves Donzallaz, der Präsident des Bundesgerichts, die Besucherinnen und Besucher jedoch auf, einmal an einer öffentlichen Sitzung teilzunehmen. «Wir haben hier keine Kabinettsjustiz», betonte er. Und laut dem Mediensprecher ist nicht ausgeschlossen, dass das Bundesgericht den Anlass in der einen oder anderen Form wiederholen wird.