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Fall «Carlos»: Wie weiter mit dem jungen Straftäter?
Aus HeuteMorgen vom 07.11.2019.
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Offener Weg im Fall «Carlos» «Zuerst muss Brian zur Therapie motiviert werden können»

Das Bezirksgericht Dielsdorf im Kanton Zürich hat die Freiheitsstrafe von knapp fünf Jahren für den jungen Straftäter Brian zugunsten einer stationären Massnahme aufgeschoben. Falls diese Therapie nicht fruchte, sei eine nachträgliche Verwahrung weiterhin möglich, sagt Strafrechtler Jonas Weber.

Jonas Weber

Jonas Weber

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Jonas Weber ist Professor für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Bern und geschäftsführender Direktor des Departements für Strafrecht.

Wie sind die Chancen, bei einer so genannt «kleinen Verwahrung» jemals wieder freizukommen.

Die verfügte Behandlungsmassnahme ist darauf angelegt, wieder in Freiheit leben zu können. Wenn von einer «kleinen Verwahrung» die Rede ist, ist das eigentlich eine kritische Würdigung der aktuellen Vollzugsverhältnisse: Es gibt zu wenige Plätze für solche Behandlungsmassnahmen. Das führt dazu, dass die Betroffenen in Strafanstalten untergebracht werden. Weil das zeitlich nicht befristet ist, spricht man von einer «kleinen Verwahrung».

Brians Anwalt zieht Urteil weiter – neues Strafverfahren läuft

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Der Anwalt des verurteilten Kampfsportlers will das Urteil der «kleinen Verwahrung» nicht akzeptieren und zieht den Fall vors Zürcher Obergericht. Eine stationäre Therapie sei angesichts der Vorgeschichte nicht zielführend, wird begründet. Im Prozess hatte der Anwalt eine «angemessene» Freiheitsstrafe gefordert, die sein Mandant mittlerweile ohnehin abgesessen habe.

Neben dem Berufungsprozess am Obergericht wird sich Brian auch noch einem neuen Strafverfahren stellen müssen: Noch während der aktuelle Gerichtsfall in Arbeit war, randalierte er hinter Gittern nämlich weiter. Er habe bereits eine neue Strafuntersuchung bestätigte der zuständige Staatsanwalt Ulrich Krättli auf Anfrage von SRF.

Ist eine solche unbefristete Massnahme nicht unverhältnismässig bei einem so jungen Menschen?

Nein, das ist nicht per se unverhältnismässig, weil es eben nicht darum geht und nicht darum gehen darf, jemanden einfach wegzusperren. Es geht vielmehr darum, dass er eine Behandlung erhält. Die Massnahme knüpft an eine schwere psychische Erkrankung an, die bei Brian offenbar medizinisch diagnostiziert worden ist.

Es gibt Menschen, die für Mord eine befristete Freiheitsstrafe absitzen. Brian wird für seine Delikte unbefristet eingesperrt.

Es ist eben eine Massnahme, die an der Gefährlichkeit einer Person anknüpft, einer Person, die behandlungsbedürftig ist. Da gilt die Limitierung über das Verschulden nicht. Wenn ein Täter bloss eine Freiheitsstrafe bekommt, heisst das, dass er kein Behandlungsbedürfnis aufweist. Es geht also nur darum, das Verschulden auszugleichen, das er auf sich geladen hat. Das führt dazu, dass man eine endliche, in vielen Fällen sehr lange Freiheitsstrafe ausspricht. Kommt da noch ein Behandlungsbedürfnis dazu, wird die Massnahme «open end» angeordnet. Und zwar für die Zeit, die es braucht, um die Krankheit beziehungsweise Störung erfolgreich zu behandeln.

Therapie-Verweigerung als Strategie?

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Kann der verurteilte Straftäter Brian einfach die angeordnete Therapie verweigern und darauf setzen, dass er nach spätestens vier Jahren und neun Monaten ohnehin freikommt? Es gebe immer wieder Täter, die mit ihren Anwälten eine solche Strategie führen und die Kooperation auf lange Dauer verweigerten, sagt Marc Graf, Gutachter im Fall Brian und Direktor für Forensik an den Universitären psychiatrischen Kliniken Basel. Allerdings komme das in deutlich unter fünf Prozent aller Fälle im stationären Massnahmenvollzug und damit nur sehr selten vor.

«Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass Täter, die sich der Massnahme verweigern, auf lange Frist wieder rückfällig werden», sagt Graf. Dies führe häufig zur Einschätzung, dass es sich tatsächlich um therapieunwillige, nicht therapierbare Täter handle. Entsprechend sinke dann bei den Gerichten die Schwelle für die Anordnung einer Verwahrung.

Brian hat sich bisher eine Therapie meist widersetzt. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten ein?

Es ist nicht selten, dass jemand mit einer Behandlungsmassnahme zunächst nicht einverstanden ist. Es wird nun zuerst darum gehen, Brian zu motivieren, eine solche Therapie in Angriff zu nehmen. Das dauert vielleicht ein Jahr. Wenn er Bereitschaft zeigt, wäre das ein erster Erfolg dieser Behandlungsmassnahme. Wenn nicht, muss man sich überlegen, wie lange man mit dieser Motivationsphase arbeiten will und wann Alternativen geprüft werden sollen. Da geht es dann wieder um die ordentliche Verwahrung. Ebenso um die Frage, ob es andere Möglichkeiten gibt, dieser Gefährlichkeit zu begegnen. Etwa erwachsenenschutzrechtliche Massnahmen, welche dann passen würden.

Wenn Brian die Therapie verweigert, werden Alternativen geprüft – die ordentliche Verwahrung gehört dazu.
Autor: Jonas Weber Professor für Strafrecht und Kriminologie, Universität Bern

Könnte Brian immer noch ordentlich verwahrt werden?

Wenn die Behandlungsmassnahme nicht erfolgreich ist, ist eine ordentliche Verwahrung möglich, wenn die begangenen Straftaten genügend schwer sind. Es wäre dann die Umwandlung der Behandlungsmassnahme in eine ordentliche Verwahrung. Die von Brian begangene schwere Körperverletzung wäre eine genügend schwere Anlasstat für eine nachträgliche ordentliche Verwahrung.

Das Gespräch führte Marc Allemann.

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