An kaum einem anderen Fest gibt es so hohe Erwartungen wie an Weihnachten. Besinnlich soll es sein. Mit den Liebsten anstossen, lecker essen und gemeinsam eine friedliche Zeit verbringen. Ein unvergesslicher Abend.
Die weitverbreitete Idee des harmonischen Weihnachtfestes sei eine Illusion, sagt Gianfranco Zuaboni, Pflege- und Gesundheitswissenschaftler. «Dass es genau an Weihnachten für alle Beteiligten der beste Abend des Jahres wird, das geht in den seltensten Fällen auf», sagt er.
Alle seien in ihrer eigenen Geschichten mit den eigenen Problemen unterwegs und genau an Weihnachten sollte es dann auf Anhieb mit allen klappen. «Es ist eher ein Zufall, wenn es wirklich so funktioniert», sagt Zuaboni.
Kurs für mehr Harmonie an Weihnachten
Gianfranco Zuaboni bietet am Recovery College Bern einen Kurs an, in dem man sich auf den zwischenmenschlichen Stress rund um den Tannenbaum vorbereiten kann. «Mit den Festtagen zurechtkommen» heisst der Kurs. In der Ausschreibung steht: «Ganz anders als es die ursprüngliche Idee dieser Feste will, können diese Tage für Individuen und Familien eine enorm belastende Zeit sein.»
Die Erwartungen an die Festtage seien enorm, was für viele Personen belastend wirken könne, so Zuaboni. Zum Beispiel für Sabine Heniger. Sie hat selbst Erfahrung mit psychischer Erschütterung und arbeitet im Recovery College Bern als Expertin. «Ich erlebe diese Weihnachtszeit, wie viel andere auch, immer wieder als Herausforderung.» Plötzlich verfalle man in alte Muster, zum Beispiel als Tochter oder Schwester, welche nur in dieser Konstellation aufblitzen.
Heiniger und Zuaboni leiten gemeinsam den Kurs zu den Festtagen. In einem ersten Schritt sei der Austausch der Kursteilnehmenden zentral. «Das ist für viele immer sehr schön, wenn sie merken, dass sie nicht alleine sind mit ihren Herausforderungen», sagt Heiniger.
Sich selber eine Strategie zurechtlegen
Das Ziel ist, dass sich die Kursteilnehmenden eine individuelle Strategie zurechtlegen können. Was ist meine Angst, wie könnte ich dieser begegnen?
Sabine Heiniger macht ein Beispiel: Für manche sei es stressig, in dieser Konstellation mit der Familie einen ganzen Tag zu verbringen. «Dann ist eine Möglichkeit, dass man sich Auszeiten einplant. Das kann eine kleine Pause in der Küche sein oder ein Verdauungsspaziergang, den man alleine macht.»
Traditionen hinterfragen
Was ebenfalls hilfreich sei: Erwartungen herunterschrauben und den Mut haben, auch mal mit alten Traditionen zu brechen. Häufig sei auch der selbst gemacht Druck das Problem.
Wenn man in der Familie offen über Bedürfnisse spreche, könnten ganz neue Formen entstehen, so Heiniger. «Mir ist zum Beispiel noch immer sehr präsent, als wir vor Jahren ein Weihnachts-Fondue über dem Nebelmeer genossen.»
Wer sich also bewusst wird, was sie oder ihn an den bevorstehenden Festtagen stresst und was man konkret dagegen unternehmen könnte, hat schon einen ersten Schritt getan. Wer dann noch den Mut aufbringt, alternative Programmpunkte vorzuschlagen, könnte seine Festtage nachhaltig stressfreier machen.