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Restaurative Justiz: Wenn Täter und Opfer sich begegnen
Aus Echo der Zeit vom 14.12.2021. Bild: Keystone
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Opfer begegnen Tätern Opfer-Täter-Konfrontation: Ein Türöffner für Wiedergutmachung?

Die sogenannte restaurative Justiz will Opfer und Täter zusammenbringen. Als Therapie für die Opfer und zum Verhindern neuer Verbrechen.

Eine Postfiliale im Zürcher Oberland, im Januar 1996. Nach dem Eindunkeln stürmen drei Maskierte herein, bedrohen drei Angestellte mit Waffen. Eine davon ist Irene Huber. Für sie, die in Wirklichkeit anders heisst, scheint die Zeit stehenzubleiben. «Ich glaubte, die bringen mich um.»

Die Täter können mit dem erbeuteten Bargeld fliehen, werden aber wenig später gefasst und kommen ins Gefängnis. Vergessen wird Irene Huber dieses Erlebnis nie. 77 ist sie heute, tagsüber plagt sie Ängstlichkeit, nachts hat sie Albträume.

Fragen stellen zu können, war eine Erleichterung

Jahre nach der Tat erkennt Irene Huber den Haupttäter in einer TV-Talkshow wieder. Der Mann gibt sich geläutert, Huber macht das wütend. Sie beschliesst, ihn zu kontaktieren. Fragt ihn, was sie schon lange wissen will: Was war das Motiv? Warum gerade ihre Filiale? Und: Waren die Waffen geladen?

Nur schon, dass sie dem Täter endlich diese Fragen stellen kann, ist für sie eine grosse Erleichterung. Erst recht, als ein Brief mit den Antworten zurückkommt. Der Täter schlägt ein persönliches Treffen vor. Erst zögert Irene Huber, willigt dann aber ein – wenn auch mit gemischten Gefühlen.

Konfrontation soll zu jederzeit möglich werden

Irene Huber ist diesen Weg alleine gegangen, ohne Unterstützung. Kriminologin Claudia Christen, Präsidentin des Forums für restaurative Justiz, möchte dagegen, dass solche Kontakte mit dem Täter für alle Opfer eine Option sein können. Darum will sie das Verfahren im Gesetz verankern: «Wichtig wäre es, dass es so verankert würde, dass es für die Betroffenen zu jedem Zeitpunkt möglich ist, einen restaurativen Prozess zu beantragen.»

Das versteht man unter «restaurativer Justiz»

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Begegnungen zwischen Opfern sowie Täterinnen und Tätern sind das Kernstück der sogenannten «restaurativen Justiz». Opfer sollen kommunizieren können, wie sie gelitten haben. Täterinnen und Tätern soll das die Chance geben, die Auswirkungen ihrer Tat zu begreifen.

In der Schweiz gibt es diese «restaurative Justiz» bisher in Strafanstalten als Pilotprojekte, also nur im Strafvollzug. Am Dienstag hat der Ständerat mit 27 Ja- zu 13 Nein-Stimmen eine Motion überwiesen, die den Austausch zwischen Opfer und Täter bereits während des Strafverfahrens ermöglichen will. Als nächstes berät der Nationalrat über den Vorstoss.

Der Entscheid des Ständerats fiel gegen den Willen der Landesregierung. Justizministerin Karin Keller-Sutter hatte sich dafür ausgesprochen, die Frage nach einer Einführung der restaurativen Justiz «sorgfältig» zu prüfen – ergo die Motion, die einen klaren Umsetzungsauftrag impliziert, nicht zu überweisen. Denn: Dies würde «eine erhebliche Veränderung» im Strafverfahren mit sich bringen, «es wäre ein Paradigmenwechsel». Der Bundesrat hätte es daher als angemessener erachtet, zuerst Entscheidungsgrundlagen zu erarbeiten.

Das heisst: kurz nach der Tat, nach einer Verurteilung oder erst im Strafvollzug. Und: Ein Dialog zwischen Opfer und Täter müsse möglich sein – egal, wie schwer ein Verbrechen gewesen sei. Entscheidend sei nur, ob die Opfer eine Konfrontation wünschen und ob es ihnen helfe. «Das ist die ausschlaggebende Frage», sagt Christen.

Sollen Täter eine Belohnung bekommen?

Der Europarat empfiehlt seinen Mitgliedstaaten, also auch der Schweiz, solche Verfahren des Opfer-Täter-Ausgleichs vorzusehen. Umstritten ist allerdings, inwiefern es Täterinnen und Tätern im Strafverfahren Vorteile bringen soll, wenn sie dazu einwilligen. Der Nationalrat fand im letzten März: Die Strafbehörden könnten das positiv berücksichtigen.

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Karin Keller-Sutter: «Einführung der restaurativen Justiz wäre ein Paradigmenwechsel»
Aus News-Clip vom 14.12.2021.
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Die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte dagegen stehen dem kritisch gegenüber. Der Zürcher Oberstaatsanwalt Beat Oppliger, Präsident der Schweizerischen Staatsanwälte-Konferenz warnt: Der Opfer-Täter-Ausgleich könnte plötzlich den Interessen des Opfers zuwiderlaufen.

Nämlich dann, wenn der Täter das Opfer unter Druck setzt, in solch eine Mediation einzuwilligen. «Das wäre insbesondere bei Konstellationen wie häuslicher Gewalt fatal und sicherlich nicht gewünscht.»

Es ist fraglich, ob die Konfrontation im frühen Verfahrensstadium Sinn ergibt.
Autor: Beat Oppliger Präsident Schweizerische Staatsanwälte-Konferenz

Laut den Staatsanwälten könnten solche Opfer-Täter-Kontakte ein Verfahren zudem verzögern und verteuern. Oppliger sieht ein Potenzial der restaurativen Justiz vor allem dann, wenn eine Täterin oder ein Täter schon im Gefängnis sitzt. Dann könne sie auch eine präventive Wirkung haben – damit sich Taten nicht wiederholen. «Es ist dagegen fraglich, ob es im frühen Verfahrensstadium Sinn ergibt.»

Irene Huber hatte die Kraft, den Posträuber von damals aus eigenem Antrieb zu kontaktieren. Sie ist überzeugt: Die restaurative Justiz, etabliert als anerkanntes Verfahren, könnte noch viel mehr Opfern helfen – so, wie ihr die Konfrontation mit dem Täter etwas gebracht hat.

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Michel-André Fels: Das ist das Problem mit der bisherigen Regelung
aus SRF 4 News aktuell vom 14.12.2021. Bild: Keystone
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SRF 4 News, 14.12.2021, 08:40 Uhr

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