Der jüngste Fall: Im Kanton Bern kommt demnächst einer der grössten Fälle von Menschenhandel in der Schweiz zur Anklage. 146 Frauen, hauptsächlich aus China, wurden über Jahre hinweg im Kanton Bern, aber auch in anderen Kantonen, zu Sexarbeit gezwungen. Fünf Personen stehen unter Tatverdacht. Sie sollen die Frauen unter falschen Versprechungen in die Schweiz gelockt und systematisch ausgebeutet zu haben.
Die neusten Zahlen: Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ zählte 208 Opfer von Menschenhandel im Jahr 2024. Von diesen wurden 159 im Sexgewerbe ausgebeutet. Weitere Opfer wurden in einer anderen Branche ausgebeutet. Vier Personen waren Opfer von Zwangsheirat, Bettelei oder Organentnahme.
Herkunft der Opfer: Herkunft der Opfer ist die Welt. Sind die Frauen im neuesten Fall im Kanton Bern hauptsächlich aus China, so kamen letztes Jahr gemäss der Nationalen Meldestelle gegen Menschenhandel und Ausbeutung viele der Betroffenen aus der Ukraine, Rumänien, der Schweiz, Ungarn, Portugal oder Spanien. Ebenso gibt es Opfer aus Südamerika, Afrika, Asien oder sogar Australien.
Das Ausmass: Pro Jahr gibt es in der Schweiz im Durchschnitt 11 Verurteilungen. Seit der Einführung des Straftatbestandes Menschenhandel im Jahr 2008. Ob Menschenhandel zu- oder abnimmt, lässt sich nicht sagen. Es gibt keine Zahlen dazu. Sichtbar ist nur, was polizeilich oder von Hilfsorganisationen erfasst wird.
Hohe Dunkelziffer: Betroffenenorganisationen sprechen von einer hohen Dunkelziffer. Die Ausbeutung geschieht sehr oft heimlich. Betroffenen ist oftmals auch nicht bewusst, dass sie Opfer von Menschenhandel sind. Auch deshalb ist Menschenhandel schwer zu beweisen. Im jüngsten Fall mit den Sexarbeiterinnen aus China kam die Kantonspolizei Bern den Menschenhändlern zufällig auf die Spur. Die ermittelte eigentlich in einem anderen Fall. Von den ersten Hinweisen auf Menschenhandel bis zur Anklage dauerten die Ermittlungen fast vier Jahre.
Die Schwierigkeit: Betroffenenorganisationen bemängeln die tiefen Zahlen bei den Urteilen. Das würde aufzeigen, dass viele Opfer auf strafrechtlichem Weg keine Gerechtigkeit erfahren und ihnen den Zugang zu Opferrechten verwehrt bleibe. Auch die Generalstaatsanwältin des Kantons Bern und Expertin in der Verfolgung von Menschenhandel, Annatina Schultz, sagt: «Menschenhandel lässt sich nur schwer nachweisen.» Oft weiche die Anklage auf andere Tatbestände wie Wucher aus. Das macht die Betroffenen nicht zu Opfern von Menschenhandel.
«Artikel 182 im Strafgesetzbuch ist zu wenig klar formuliert», sagt die Generalstaatsanwältin des Kantons Bern. Was mit Ausbeutung gemeint ist, sei zum Beispiel zu wenig klar beschrieben. Es wäre wichtig, diesen zu ändern. Im Bundesparlament sind dazu sieben Vorstösse hängig.