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Organisierte Kriminalität Das Ausmass von Menschenhandel in der Schweiz

Auch in der Schweiz gibt es Menschenhandel. Oft werden die Opfer im Verborgenen ausgebeutet.

Der jüngste Fall: Im Kanton Bern kommt demnächst einer der grössten Fälle von Menschenhandel in der Schweiz zur Anklage. 146 Frauen, hauptsächlich aus China, wurden über Jahre hinweg im Kanton Bern, aber auch in anderen Kantonen, zu Sexarbeit gezwungen. Fünf Personen stehen unter Tatverdacht. Sie sollen die Frauen unter falschen Versprechungen in die Schweiz gelockt und systematisch ausgebeutet zu haben.

Die neusten Zahlen: Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration FIZ zählte 208 Opfer von Menschenhandel im Jahr 2024. Von diesen wurden 159 im Sexgewerbe ausgebeutet. Weitere Opfer wurden in einer anderen Branche ausgebeutet. Vier Personen waren Opfer von Zwangsheirat, Bettelei oder Organentnahme.

Herkunft der Opfer: Herkunft der Opfer ist die Welt. Sind die Frauen im neuesten Fall im Kanton Bern hauptsächlich aus China, so kamen letztes Jahr gemäss der Nationalen Meldestelle gegen Menschenhandel und Ausbeutung viele der Betroffenen aus der Ukraine, Rumänien, der Schweiz, Ungarn, Portugal oder Spanien. Ebenso gibt es Opfer aus Südamerika, Afrika, Asien oder sogar Australien.

Andere Fälle von Menschenhandel

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  • Mitte Mai 2025 wurden in Biel zwei Personen wegen Menschenhandels in sieben Fällen und der Förderung von Prostitution in 12 Fällen verurteilt. Die Frau und der Mann haben sieben Frauen aus Spanien nach Biel gelockt und sie sexuell ausgebeutet. Die Angeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und Landesverweis nach Spanien verurteilt, der Angeklagt erhielt drei Jahre und neun Monate Freiheitsstrafe und Landesverweis nach Kuba.
  • In Luzern wurde Ende April 2025 eine Bordellchefin auch in zweiter Instanz des gewerbsmässigen Menschenhandels schuldig gesprochen. Das Kantonsgericht Luzern erhöhte dabei das Strafmass und verurteilte die Frau zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten.
  • Ebenfalls in Luzern verhängte das Kriminalgericht Mitte März 2025 mehrjährige Gefängnisstrafen gegen zwei Männer, die Teil eines Netzwerks von Menschenhändlern waren. Sie sollen minderjährige Roma-Buben sexuell ausgebeutet haben.
  • Mitte Februar 2025 klagte die kantonale Staatsanwaltschaft in Baden einen Freier und eine Bordellbetreiberin des Menschenhandels an. Die Bordellbetreiberin soll Minderjährige angeboten haben.
  • Anfang März 2020 verurteilte das Berner Obergericht eine Thailänderin zu zehneinhalb Jahren Haft wegen Menschenhandels und Förderung der Prostitution. Sie soll 88 Frauen und Transsexuelle Personen aus Thailand ausgebeutet haben. Dieser Fall galt bis dahin als einer der grössten Fälle von Menschenhandel in der Schweiz.

Das Ausmass: Pro Jahr gibt es in der Schweiz im Durchschnitt 11 Verurteilungen. Seit der Einführung des Straftatbestandes Menschenhandel im Jahr 2008. Ob Menschenhandel zu- oder abnimmt, lässt sich nicht sagen. Es gibt keine Zahlen dazu. Sichtbar ist nur, was polizeilich oder von Hilfsorganisationen erfasst wird.

Hohe Dunkelziffer: Betroffenenorganisationen sprechen von einer hohen Dunkelziffer. Die Ausbeutung geschieht sehr oft heimlich. Betroffenen ist oftmals auch nicht bewusst, dass sie Opfer von Menschenhandel sind. Auch deshalb ist Menschenhandel schwer zu beweisen. Im jüngsten Fall mit den Sexarbeiterinnen aus China kam die Kantonspolizei Bern den Menschenhändlern zufällig auf die Spur. Die ermittelte eigentlich in einem anderen Fall. Von den ersten Hinweisen auf Menschenhandel bis zur Anklage dauerten die Ermittlungen fast vier Jahre.

Eine Frau mit Brille
Legende: Annatina Schultz, Generalstaatsanwältin des Kantons Bern. Sie hat zu Menschenhandel geforscht. KEYSTONE/Peter Schneider)

Die Schwierigkeit: Betroffenenorganisationen bemängeln die tiefen Zahlen bei den Urteilen. Das würde aufzeigen, dass viele Opfer auf strafrechtlichem Weg keine Gerechtigkeit erfahren und ihnen den Zugang zu Opferrechten verwehrt bleibe. Auch die Generalstaatsanwältin des Kantons Bern und Expertin in der Verfolgung von Menschenhandel, Annatina Schultz, sagt: «Menschenhandel lässt sich nur schwer nachweisen.» Oft weiche die Anklage auf andere Tatbestände wie Wucher aus. Das macht die Betroffenen nicht zu Opfern von Menschenhandel.

«Artikel 182 im Strafgesetzbuch ist zu wenig klar formuliert», sagt die Generalstaatsanwältin des Kantons Bern. Was mit Ausbeutung gemeint ist, sei zum Beispiel zu wenig klar beschrieben. Es wäre wichtig, diesen zu ändern. Im Bundesparlament sind dazu sieben Vorstösse hängig.

Merkmale von Menschenhandel

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Die Schweizer Plattform gegen Menschenhandel «Traite» definiert den Begriff Menschenhandel so:

  • Die meisten Opfer, die in der Schweiz ausgebeutet werden, kommen aus dem Ausland.
  • Sie werden oft mit falschen Versprechungen in die Schweiz gelockt und über die Arbeitsbedingungen getäuscht.
  • Sie werden mit Drohungen, mit Gewalt oder wegen angeblicher Schulden gezwungen, zu arbeiten und werden in dieser Zwangslage ausgebeutet.
  • Menschenhandel kommt in der Schweiz in der Sexarbeit, in Privathaushalten, in der Landwirtschaft, im Bau- oder Gastgewerbe vor.
  • Opfer von Menschenhandel wehren sich in ihren Zwangssituationen sehr wenig. Aussagen gegen Tatverdächtige sind selten.

Echo der Zeit 19.5.2025, 18 Uhr;liea

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