Stein des Anstosses ist der Automatismus, den die Initiative «Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen» verlangt. Verurteilte Pädosexuelle sollen nie wieder mit Minderjährigen oder Abhängigen arbeiten dürfen. Auch Tätigkeiten in Vereinen und Organisationen wären ihnen auf Lebzeiten verboten.
Bei der Verhängung des Verbots kann der Richter weder der Schwere der Straftat noch den Umständen des Einzelfalls Rechnung tragen. Damit steht die Initiative der Organisation Marche blanche, über die am 18. Mai abgestimmt wird, im Widerspruch zum verfassungsmässigen Gebot der Verhältnismässigkeit. Dieses besagt, dass der Staat nur so weit in die Rechte seiner Bürger eingreifen darf, wie es zur Erreichung eines bestimmten Ziels notwendig ist.
Für die Initianten ist die Verhältnismässigkeit gerade darum gewahrt. Weil Pädophile ihrer Ansicht nach nicht therapierbar sind, können sie nur an weiteren Übergriffen gehindert werden, indem sie von Kindern ferngehalten werden. Ohnehin wiege ein Übergriff auf ein Kind in jedem Fall schwerer als ein beschränktes Berufsverbot.
Rückzieher bei der Umsetzung
Die Befürworter der Initiative, zu welchen neben der SVP und BDP auch Exponenten von CVP, FDP und SP gehören, fordern darum «Nulltoleranz» und eine Einschränkung des richterlichen Ermessens. Die ganz harte Linie wollen aber auch sie nicht fahren, da sich stossende Ergebnisse abzeichnen. Immer wieder bemüht wird im Abstimmungskampf das Beispiel der harmlosen Jugendliebe, die zu einem lebenslangen Berufsverbot führen kann.
Ein überparteiliches Pro-Komitee hat bereits einen Umsetzungsentwurf vorgelegt, mit dem den Umständen des Einzelfalls dann doch Rechnung getragen werden könnte. Mit einer solchen Umsetzung wäre zwar der Grundsatz der Verhältnismässigkeit gewahrt.
Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass der Initiativtext eine solche Auslegung nicht zulässt. Justizministerin Simonetta Sommaruga sieht sich gemäss eigener Aussage mit dem Dilemma konfrontiert, bei einem Ja entweder die Verfassung zu verletzen oder den Volkswillen zu enttäuschen.
Anliegen ist bereits Gesetz
Sie teilt aber das Anliegen, Kinder und andere schutzbedürftige Personen besser gegen Übergriffe zu schützen. Unabhängig von der Initiative hat sie daher eine Gesetzesvorlage mit diesem Ziel ausarbeiten lassen. Diese geht sogar weiter als die Initiative, ist aber vereinbar mit rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das Parlament hat die Vorlage in der Wintersession gutgeheissen.
Das darin vorgesehene Berufs- und Tätigkeitsverbot ist auf alle Täter anwendbar, die an Minderjährigen oder anderen schutzbedürftigen Personen ein Verbrechen oder Vergehen begangen haben, nicht nur auf Sexualstraftäter. Damit können auch Gewaltdelikte geahndet werden. Vorgesehen sind ausserdem Kontakt- oder Rayonverbote, die auch ausserhalb von Schulzimmern und abseits von Fussballplätzen Wirkung entfalten.
Obwohl die Revision des Strafgesetzbuches inhaltlich über die Initiative hinausgeht, genügt sie den Urhebern nicht. Sie stören sich vor allem daran, dass Richter ein lebenslanges Arbeitsverbot mit Kindern aussprechen können, aber nicht müssen: Sie sind überzeugt, dass das richterliche Ermessen allzu oft zu Gunsten des Täters und nicht zum Schutz des Kindes angewendet würde.
Gespaltene Mitte
Das Parlament hatte keine einheitliche Haltung zur Initiative gefunden: Der Nationalrat wollte das Volksbegehren zur Annahme empfehlen, der Ständerat lehnt es ab. Gespalten sind CVP und FDP. Im Nationalrat hatten ihre Fraktionsmitglieder der Initiative mehrheitlich zugestimmt, die Basis jedoch beschloss die Nein-Parole. Auf Ablehnung stösst die Initiative bei SP und Grünen, SVP und BDP unterstützten das Volksbegehren vorbehaltlos.
Die bereits beschlossene Gesetzesänderung tritt unabhängig vom Ausgang der Abstimmung Anfang 2015 in Kraft. Wird die Initiative angenommen, müsste das Gesetz erneut angepasst werden.