Welche Partei profitiert politisch von den Folgen des Ukraine-Kriegs? Und wie riskant ist ein Positionswechsel im Wahljahr? Die Politikwissenschafterin Martina Mousson von GFS Bern im Interview.
SRF News: Welche Schweizer Partei hat Sie mit ihrer Neupositionierung nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs am meisten überrascht?
Martina Mousson: Am meisten überrascht hat mich die SP, mit ihrer Kehrtwende in der Waffenexportfrage.
Die SP ist neu dafür, dass man anderen Ländern die Wiederausfuhr von Schweizer Waffen in die Ukraine erlaubt. In dieser Frage gibt es keine klassische Links-Rechts-Spaltung, SP und FDP arbeiten zusammen. Was bedeutet das im Wahljahr?
Es ist schwierig zu sagen, wer hier profitieren kann. Damit ein Thema greift in einem Wahlkampf, braucht es aber klare Kompetenz-Zuschreibungen für die Parteien. Und diese Kompetenzen verordnen die Wählerinnen und Wähler bei der Sicherheitspolitik eher im bürgerlichen Lager.
Wer seine Position radikal ändert, riskiert, die Kernwählerschaft vor den Kopf zu stossen.
Es gibt Parteien, die sich schnell neu positioniert haben und andere, die sehr konstant geblieben sind. Welche Strategie ist besser?
Vor vier Jahren hat die FDP im Wahljahr einen Kurswechsel in der Klimapolitik gemacht. Sie konnte dies nicht wirklich in einen Wahlerfolg ummünzen. Tendenziell ist es so: Wer seine Position radikal ändert, riskiert, die Kernwählerschaft vor den Kopf zu stossen. Aber er kann sich auch neue Potenziale erschliessen. Die Wahlen werden zeigen, ob die Grünen dafür belohnt werden, dass sie ihrer pazifistischen Ideologie treu bleiben und die SP für ihren Wechsel abgestraft wird. Man muss mit Verschiebungen innerhalb der Pole rechnen. Aber sicher nicht damit, dass jemand links statt rechts wählt.
Kann man sagen, dass Parteien mit einer grossen Stammwählerschaft, wie etwa die SVP, besser fahren, wenn sie nicht zu viel ändern – während eine jüngere Partei wie die Mitte gewinnt, wenn sie sich neu positioniert?
Die Mitte hat natürlich eine andere Ausgangslage, weil sie in einer Neuorientierungsphase ist. Sie kann sich Kurswechsel eher erlauben. Bei der SVP glaube ich, wäre die Wählerschaft vor den Kopf gestossen, wenn plötzlich ganz neue Töne angeschlagen würden. Daher ergibt es aus Parteisicht Sinn, konsequent anzuknüpfen an die Neutralitätsdiskussion.
Auch, wenn die SVP dafür die Position bei den Waffenexporten ändert?
Man hat hier ein Hintertürchen: Man kann einfach sagen, der Krieg hat eine neue Weltordnung geschaffen und man muss sich neu positionieren. Aber ob die SVP hier das Richtige macht, ist, Stand heute, schwierig einzuschätzen.
Falls Strom und Gas knapp werden: Hilft das dann den Bürgerlichen, die auf Versorgungssicherheit setzen, oder den Linken, die schon lange auf den Ausbau der erneuerbaren Energie pochen?
In einer Studie zur Versorgungssicherheit konnten wir recht klar herausarbeiten, dass sich die Schweiz in einem Trilemma bewegt. Der eine Punkt ist die Versorgungssicherheit, der andere die Klimadebatte – inklusive Klimaneutralität der Stromproduktion – und der Dritte ist der Preis. Am höchsten gewichtet wird die Versorgungssicherheit. Und das spielt eher den Bürgerlichen in die Hand.
Sicherheit und Energie helfen also den Bürgerlichen, während Kaufkraft und Inflation eher den Linken in die Hände spielen?
Ja, das würde ich tendenziell so sagen, wenn es um Abfederung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten oder Inflation geht. Da bekommt die Energiepolitik auch einen neuen Twist. Denn der Strom wird teurer werden und darum ist es nicht ganz eindeutig zu sagen, wer den Match am Ende für sich entscheiden kann. Es wird wirklich zentral sein, welches Thema im Fokus steht.
Das Gespräch führte Larissa Rhyn.