Einige seien «schon am Kofferpacken, die anderen noch am Geld einsacken». Pointiert fasst Slam-Poetin Patti Basler in der letzten «Arena» vor den Sommerferien zusammen, was an politischen Themen noch ungelöst zur Debatte steht.
Unerledigt: Die Reform der AHV
Müssen wir auch in der Schweiz in Zukunft länger arbeiten? Filippo Lombardi blickt nach Italien, wo das Rentenalter bei 67 Jahren liege, wenn auch nur auf dem Papier. Real ist es nicht einfach «dolce far niente» mit 50 Jahren wie es Basler zuspitzt, aber im Durchschnitt unter Alter 62. In der Schweiz liege es real bei über 63 Jahren. Für Lombardi ist damit «die Realität in der Schweiz näher beim Gesetz als in anderen Ländern.»
Die nötige Reform der AHV braucht für Paul Rechsteiner vor allem zwei Dinge: Eine solide Finanzierung nach 20 Jahren wieder mit einem Zusatzbeitrag, etwa mit der Steuervorlage 17, die zwei Milliarden Franken bringen würde. Und zudem müsse das Problem gelöst werden, dass die Renten der Pensionskassen immer mehr sinken.
Petra Gössi sieht ein mögliches höheres Rentenalter für Frauen nicht als Grund, warum die AHV-Reform bei der letzten Abstimmung um die Altersvorsorge 2020 abgelehnt worden ist. Grund war vielmehr, «weil man die AHV ausbauen wollte. Es ging nicht nur um das Frauenrentenalter 65.» Zudem müsste eine Rentenalter-Erhöhung für Frauen sozial abgefedert werden.
Albert Rösti stellt bei der AHV-Sanierung die Frage nach der politischen Prioritätensetzung, die für die AHV in der Schweiz hoch sei. «Aber das muss man nicht einfach mit mehr Steuereinnahmen decken, sondern indem man beim Staat Prioritäten neu setzt und mehr Geld für die eigenen Leute im Land einsetzt.»
Damit etwas geändert werden könne, müssten in der Schweiz zwei Dinge beachtet werden, betont Lombardi: «Direkte Demokratie und Reformstau», die miteinander verbunden seien. «Wenn wir nicht von ideologischen Positionen wegkommen und Kompromisse schnüren, die demokratisch mehrheitsfähig sind, dann bleibt alles wie es ist.» Auf den Alternativvorschlag zur gescheiterten Altersvorsorge 2020 warte man 10 Monate später immer noch, kritisiert Lombardi.
Rösti hält dagegen: SVP, FDP und Grünliberale hätten unmittelbar nach der Abstimmung einen «Plan B» erstellt: Rentenalter 65/65 und eine moderate Mehrwertsteuererhöhung. «Die CVP wollte sich nicht anschliessen. Ohne euch finden wir halt die Mehrheit nicht.»
Unerledigt: EU-Rahmenabkommen
Eine weitere ungelöste Aufgabe ist das Rahmenabkommen mit der EU. Weil 2019 ein Wahljahr in der Schweiz und für das Europaparlament ist, drängt die Zeit bis Ende Jahr.
Von Rösti kommt dazu eine klare Kampfansage. Das Rahmenabkommen beschneide die Souveränität der Schweiz. «So wie das jetzt aufgegleist ist, muss es klar bekämpft werden.»
Die SVP bekämpfe alles, was mit der EU zu tun hat, kontert Gössi. Damit werde aber auch noch der Freihandelsvertrag mit der EU bekämpft, von dem das Land lebe.
Man wisse doch noch gar nicht, ob das Verhandlungsergebnis gut sei für die Schweiz, ruft Lombardi aus. «Zudem haben wir den zweiten Aussenminister, der uns sagt, die Einigung kommt morgen, es ist alles gut.»
Noch keine normalisierte Beziehung
Lombardi illustriert dies mit der Erfahrung aus einem kürzlichen Treffen mit der EVP-Fraktion des Europaparlaments in Strassburg. Dort sei auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aufgetreten. Zum Thema Rahmenabkommen mit der Schweiz habe Juncker gesagt: «Ich habe 14 Mal mit drei Bundespräsidenten und zwei Aussenministern Gespräche geführt. Mir wurde viel versprochen, aber nichts eingehalten», zitiert Lombardi den Kommissionspräsidenten.
Lombardi zeige damit etwas Wichtiges auf, attestiert Gössi: Es sei im vergangenen Jahr wirklich so gewesen, dass immer jemand anders in Brüssel verhandelt habe. «Im letzten halben Jahr [mit Cassis] hat das stark gebessert. Dass Juncker eingeschnappt ist, zeigt vor allem, dass sich das Verhältnis noch nicht normalisiert hat.»
Rote Linie flankierende Massnahmen
Ein zentraler Punkt bei den Verhandlungen um ein Rahmenabkommen bilden die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit.
Gewerkschaftsvertreter Rechsteiner kann sich bei diesem Thema nicht zurückhalten: «Ich habe das Gefühl, im Moment sind manchmal ein wenig Amateure am Werk.» Aussenminister und Botschafter sollten die von Bundesrat und den Sozialpartnern definierten Interessen der Schweiz vertreten. Diese roten Linien gälten auch für Aussenminister Cassis.
«Auch im Tessin sind alle an die Decke gesprungen», schildert Lombardi die Reaktionen auf die Idee, in den Verhandlungen mit der EU bei den flankierenden Massnahmen Kompromisse einzugehen. Gerade im Grenzkanton Tessin seien diese Schutzmassnahmen unabdingbar.
Sogar Rösti (SVP) betont die Einigkeit mit Rechsteiner (SP): «Der Lohnschutz darf nicht abgebaut werden, auch wenn die SVP nicht Fan ist von den flankierenden Massnahmen.»
Gössi erinnert zudem daran: «Wenn der Bundesrat diese rote Linie überschreiten will, muss er sein Verhandlungsmandat verändern.»
Die Schweiz wolle nach wie vor einen Lohnschutz, der bis 2000 ausgehandelt worden sei, betont Rechsteiner, der bei den Verhandlungen mit am Tisch sass: «Wir haben damals nicht in Brüssel gefragt, ob wir das dürfen. Das muss auch jetzt und in Zukunft so bleiben. Ein eigenständiger, nichtdiskriminierender Lohnschutz in der Schweiz.»