Das Wichtigste in Kürze:
- Bei Sandstrahl-Arbeiten am Abfluss der «Punt da Gall»-Staumauer des Livignosees ist vor einem Jahr PCB-Staub in den wilden Nationalparkbach Spöl entwichen.
- Die Sanierungsarbeiten gestalten sich aufwendig. Das hochgiftige PCB ist auf fünf Kilometern teilweise tief in die Sedimente eingedrungen.
- Zurzeit wird der erste Abschnitt direkt nach der Staumauer geputzt. Für die schwer zugänglichen unteren Abschnitte müssen Lösungen erst noch erarbeitet werden.
Der Spöl, ein Bach im Schweizerischen Nationalpark im Engadin, dürfte im Moment einer der dreckigsten Fliessgewässer der Schweiz sein. Seit drei Wochen laufen nun erste Sanierungsarbeiten. Doch wie bloss reinigt man einen wilden Bergbach?
Das erste Zwischenfazit von Biologe Christian Marchesi tönt niederschmetternd. Ganz sauber werde der Bach wohl nie mehr, befürchtet der Mitarbeiter des kantonalen Amts für Natur und Umwelt. Ziel sei, einen grossen Teil des giftigen Bauschadstoffs herauszufiltern. Doch wie, ist laut Marchesi noch offen. Zuerst müsse geklärt werden, ob das Gift im Schlamm, Sand oder im Schotter stecke.
Wir können momentan nicht genau sagen, ob das PCB im Schlamm, Sand oder Schotter steckt.
Die bisherigen amtlichen Messungen haben gezeigt, dass der Spöl auf fünf Kilometern in einer Breite von zehn Metern und bis zu einen halben Meter tief mit dem Bauschadstoff belastet ist. Bei den Fischen werde der Grenzwert um das Dreifache überschritten. Die Sedimente enthielten die fünffache, teilweise sogar zehnfache Dosis eines noch akzeptablen Werts.
Die ersten 60 Meter werden komplett ausgeräumt
Was also tun? Der Kanton hat sich entschieden, zuerst einmal die ersten 60 Meter des Bachs zu sanieren. Dieser Abschnitt gleich unterhalb der mächtigen Bogenmauer des Livigno-Stausees ist als einziger Ort des Bachs noch über eine Strasse mit Baumaschinen zugänglich und weist gleichzeitig hohe PCB-Werte auf.
Die Sanierungsstrategie ist brachial: Das Bachbett soll in diesem Bereich komplett ausgeräumt werden: Steine, Kies, Schlamm – alles muss raus, bis hinunter auf den Fels. Dafür wurde das Bachbett trockengelegt. Das Wasser fliesst neu über einen Holzkanal auf Stelzen quer über die Baustelle.
Bagger, Hochdruckpumpe – und viel Handarbeit
Während ein Bagger Steine und Dreck in einen Dumper schaufelt, kniet Arbeiter Selly am Boden. Mit einer Maurerkelle kratzt er von Hand zentimeterhohen Schlamm vom Felsuntergrund: «Wir müssen es fast wie mit der Zahnbürste herausputzen.»
Danach wird der Fels mit einem Hochdruckreiniger vom letzten Dreck befreit. Maschinen pumpen das verschmutze Wasser in eine Reinigungsanlage hinauf, wo auch das belastete Erdmaterial zwischengelagert wird.
Ein mobiler Staubsauer für schwer zugängliche Bereiche?
380'000 Franken alleine verschlingt die Sanierung der ersten 60 Meter, dahinter folgen nochmals fünf Kilometer Bergbach – ohne Zufahrtsstrasse und ohne natürlichen Felsuntergrund. Es ist eine Herkulesaufgabe.
Impressionen von der Baustelle am Spöl im Nationalpark.
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Bild 1 von 8. Für die Sanierung des ersten Abschnitts unterhalb der Staumauer wird das Bachbett komplett ausgeräumt. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 2 von 8. Für die Baustelle unterhalb der Staumauer «Punt da Gall» des Lago di Livigno wurde das Bachbett in den letzten Wochen trockengelegt. Das Wasser wird über einen 60 Meter langen Holzkanal umgeleitet. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 3 von 8. Das Wasser fliesst aus dem Grundablass direkt über einen rund 60 Meter langen Holzkanal. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 4 von 8. Ein Arbeiter kratzt mit einer Maurerkelle von Hand die letzten Zentimeter vom natürlichen Felsuntergrund. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 5 von 8. Ein Teil wird des Bachbetts wird ausgebaggert, der Rest ist Handarbeit. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 6 von 8. In einem letzten Arbeitsschritt wird der Fels mit einem Hochdruckreiniger gereinigt. Das verdreckte Wasser wird hinaufgepumpt und fliesst dort über eine Reinigungsanlage. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 7 von 8. Die Staumauer befindet sich an der Grenze zu Italien. Die Anlage wird von den Engadiner Kraftwerken betrieben. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
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Bild 8 von 8. Blick bachabwärts: Der Spöl ist laut den Behörden über fünf Kilometer auf einer Breite von zehn Metern und bis zu einem halben Meter tief mit PCB belastet. Bildquelle: SRF/Stefanie Hablützel.
Eine Idee sei, das mit PCB belastete Material aus dem Spöl herauszusaugen, erklärt Marchesi. Und zwar mit einem riesigen mobiler Staubsauger für die vergifteten Ablagerungen im Bachbett. Das belastete Material würde dann über kilometerlange Förderbänder bis zur nächsten Strasse geführt.
Giftiger Staub entwich aus defekter Schutzhülle
Zur schwerwiegenden Panne kam es vor bald einem Jahr bei Arbeiten im unterirdischen Grundablass, quasi dem Stöpsel des Stausees. «Dieser gepanzerte Metallkanal wurde sandgestrahlt, um die PCB-haltige Rostschutzfarbe abzulösen», erklärt Michael Roth, Direktor der Engadiner Kraftwerke.
Der gepanzerte Metallkanal wurde sandgestrahlt, um die PCB-haltige Rostschutzfarbe abzulösen.
Weil die Schutzhülle rund um die Baustelle leckgeschlagen ist, gelangte der Farbstaub durch einen Luftzug nach aussen und wurde in den Bach getragen. Was genau passiert ist und ob jemand schuld an der Havarie trägt, klärt zurzeit die Staatsanwaltschaft ab.
Der Spöl-Unfall ist auch ein Weckruf. So will der Kanton Graubünden in diesem Herbst zum ersten Mal überhaupt auch andere Bäche unterhalb von Staumauern auf PCB überprüfen. Der Unfall zeigt: auch die Wasserkraft birgt Risiken.