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Eine rechtlich umstrittene Idee aus dem Kanton Aargau: Obligatorischer Infotag zum Bevölkerungsschutz für Frauen und Ausländer.
Aus Regionaljournal Aargau Solothurn vom 07.02.2022. Bild: Keystone
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Personalmangel im Zivilschutz 500 Franken Busse: Aargau will Frauen zu Info-Anlass zwingen

Der Zivilschutz leidet unter Personalmangel. Die Aargauer Regierung will deshalb einen obligatorischen Infotag für Frauen und Ausländer einführen. Das ist politisch umstritten, vor allem aber auch rechtlich heikel.

Der Schweiz fehlen Tausende Zivilschützer. Seit Beginn dieses Jahres gilt nämlich eine verkürzte Dienstpflicht, 14 Jahre statt wie bisher 20 Jahre. Zudem wird auch immer weniger Nachwuchs rekrutiert. Rezepte gegen die Personalknappheit werden auf Bundesebene seit Monaten diskutiert. Einige Politikerinnen und Politiker fordern zum Beispiel eine allgemeine Dienstpflicht für Frauen und Männer. Der Bundesrat möchte Zivildienstleistende im Zivilschutz einsetzen.

Zivilschutz, Zivildienst... was ist was und was gilt?

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Legende: Zivildienst wird zum Beispiel in sozialen Institutionen geleistet. Keystone

In der Schweiz sind Männer dienstpflichtig. Wer alle Anforderungen erfüllt, muss grundsätzlich in die Armee, gilt als «militärdiensttauglich». Wer diese Anforderung erfüllt, aber zum Beispiel aus Gewissensgründen nicht zur Armee will, der darf zivilen Ersatzdienst leisten – sogenannten «Zivildienst». Dieser dauert länger als der Militärdienst und wird zum Beispiel in sozialen Institutionen geleistet.

Einige Personen sind zwar nicht zum Militärdienst zugelassen, aber «schutzdiensttauglich». Sie müssen in den Zivilschutz einrücken.

Wer weder für Militärdienst noch Zivilschutz tauglich ist, bezahlt eine Ersatzabgabe. Für Zivilschützerinnen und Zivilschützer ist diese stark ermässigt.

Sowohl Armee als auch Zivilschutz stehen auch Frauen offen. Diese leisten Militär- oder Zivilschutz-Dienst aber freiwillig. Natürlich gilt auch bei ihnen, dass sie tauglich sein müssen, also die physischen und psychischen Anforderungen erfüllen.

Der Kanton Aargau will nicht auf Lösungen aus Bundesbern warten. Im neuen Zivilschutzgesetz hat die Aargauer Regierung eine eigene Lösung parat: Sie will Frauen und auch ausländische Bürgerinnen und Bürger mit Niederlassungsbewilligung zu einem obligatorischen Informationstag aufbieten. An diesem «Sicherheitstag» sollen die Aufgaben von Zivilschutz, Samariterdienst oder Feuerwehr präsentiert werden. Die Bevölkerung soll so zu freiwilligem Dienst beim Bevölkerungsschutz animiert werden.

Obligatorisches Aufgebot für freiwilligen Dienst

Politisch ist dieses Vorgehen umstritten. Die Aargauer SVP zweifelt am Erfolg, die Grünen kritisieren die einseitige Ausrichtung auf das Thema «Sicherheit». Damit steht die Aargauer Regierung – wie die am Wochenende abgeschlossene Anhörung bei Parteien und Verbänden zeigt – bereits im Gegenwind. Es gibt aber noch eine zweite Hürde: Die Idee ist auch rechtlich heikel.

Männer von Zivilschutz und Feuerwehr errichten Hochwasserschutz bei Altstadt-Häusern, das Wasser ist bereits sehr hoch.
Legende: Der Zivilschutz kämpfte im Sommer 2021 an der Reuss in Mellingen (AG) gegen Hochwasser. Er unterstützt bei grossen Einsätzen die Feuerwehr. Keystone

Das Problem: Der Info-Anlass soll obligatorisch sein. So, wie die dienstpflichtigen Schweizer Männer zu einem Orientierungstag aufgeboten werden, so sollen auch Frauen und Ausländer zu diesem Info-Tag aufgeboten werden. Wer nicht kommt, bezahlt eine Busse von 500 Franken. Allerdings sind Frauen und Ausländer ja eben gar nicht dienstpflichtig.

Erlaubt die Verfassung diesen Info-Tag?

Die Idee aus dem Aargau ist nicht ganz neu. Die zuständige Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) aller Kantone hatte sie vor einigen Jahren bereits diskutiert und verworfen, erklärt Geschäftsführer Alexander Krethlow: «Die Konferenz hat 2017 und 2018 gemeinsam mit dem VBS mehrere Konzepte geprüft.» Ein Rechtsgutachten sei damals zum Schluss gekommen, dass ein obligatorischer Orientierungstag für Frauen eine Verfassungsänderung bräuchte.

Die Einführung eines obligatorischen Orientierungstags für Schweizerinnen stellt einen erheblichen Eingriff in die (...) persönliche Freiheit dar. Da mildere Massnahmen zur Erreichung der Zielsetzungen bestehen, erweist sich der obligatorische Orientierungstag als nicht erforderlich und damit verfassungswidrig.
Autor: Auszug aus dem Kurzgutachten Prof. Dr. Benjamin Schindler, Universität St. Gallen

So gesehen wäre auch ein obligatorischer Informationstag über Zivilschutz und Feuerwehr für Frauen und Ausländer nicht rechtskonform. Allerdings: Im Aargau sieht man es anders. Die Pflichten von Bürgerinnen und Bürgern könne man auch auf kantonaler Ebene regeln, unabhängig vom Geltungsbereich der national festgelegten Militärdienstpflicht, heisst es auf Anfrage von SRF beim zuständigen Departement. So gibt es im Aargau grundsätzlich eine Feuerwehr-Dienstpflicht für alle niedergelassenen Einwohnerinnen und Einwohner.

«Dienstpflicht für einen Tag» ist in Diskussion

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Die zuständie Bundesrätin Viola Amherd hat angekündigt, dass sie eine «Dienstpflicht für einen Tag» prüfen will. Der Orientierungstag zu Armee und Zivilschutz würde damit auch für Frauen obligatorisch. Allerdings will die Aargauer Regierung ihre Regelung bereits per 1.1.2024 umsetzen. Auf Bundesebene dürfte es länger dauern.

Der Bundesrat hat in einer Antwort auf ein Postulat seine grundsätzliche Bereitschaft zur Prüfung dieser Massnahme formuliert. Das Anliegen werde im Rahmen der bereits laufenden «Überlegungen zum Dienstpflichtsystem und damit zusammenhängenden allfälligen Anpassungen der Bundesverfassung» aufgenommen.

Auch die Armee beklagt sich über Personalmangel, da sich immer mehr potentielle Soldatinnen und Soldaten für den Zivildienst entscheiden.

Alexander Krethlow und die meisten Kantone folgen dieser Argumentation nicht. Sie warten auf Bundesbern, auf eine allfällige Verfassungsänderung. Krethlow lobt aber den Kanton Aargau für sein forsches Vorgehen: «Aus meiner persönlichen Sicht ist das ein wertvoller Schritt. Diese Gedanken aus dem Aargau könnten sehr fortschrittlich und hilfreich sein für eine vertiefte Integration der Frauen in unser Dienstpflicht-System.» Denn – darin sind sich die Kantone einig – gegen den Personalmangel beim Zivilschutz sind schnell neue und gute Ideen gefragt.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 7.2.2022, 06:32 Uhr;

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