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Pilotprojekt Alkoholprävention Kritischer Alkoholkonsum als Nebendiagnose im Spital

Alkoholsucht bleibt oft unentdeckt. Ein Spital im Thurgau schaut darum genauer hin. Es könnte Vorbild für andere werden.

Wie viel Alkohol trinken Sie? Hatten Sie deswegen schon einmal ein schlechtes Gewissen? Diese und andere Fragen wurden Patientinnen und Patienten auf zwei Abteilungen im Spital Münsterlingen am Bodensee gestellt. Egal, ob sie wegen eines Beinbruchs oder Magenschmerzen im Spital waren.

Patient im Spital
Legende: Egal weshalb Patientinnen oder Patienten im Spital waren: Sie wurden nach ihrem Alkoholkonsum befragt. KEYSTONE/Gaetan Bally (Symbolbild)

Für die Befragungen wurde das Personal speziell geschult. Das Beantworten der Fragen war für die Patientinnen und Patienten freiwillig. Drei Viertel gaben Auskunft über ihren Alkoholkonsum.

Jede zehnte Person mit problematischem Konsumverhalten

Von den befragten Patientinnen und Patienten konsumierten zehn Prozent so viel Alkohol, dass es ihre Gesundheit schädigt, erklärt Judith Hübscher-Stettler, die den Versuch seitens des Thurgauer Gesundheitsamts begleitete. Von diesen zehn Prozent habe schliesslich ein Prozent Informations- und Beratungsangebote in Anspruch angenommen.

Der Spitaleintritt sei eine Chance für eine Standortbestimmung, so Judith Hübscher-Stettler. «Wenn man krank wird oder einen Unfall hat, kann das ein mögliches Fenster sein, um sein Verhalten zu hinterfragen und allenfalls zu ändern. In Bezug auf einen kritischen Alkoholkonsum wollten wir dieses Fenster nutzen.»

Nicht nur hinschauen, sondern handeln

Im Spital werden häufig Nebendiagnosen gestellt. Wenn eine Ärztin beispielsweise eine Veränderung an der Haut eines Patienten feststellt, wird dies oft direkt angesprochen und eine Konsultation beim Dermatologen empfohlen, um ein Melanom auszuschliessen. Bei der Sucht hingegen sei das noch nicht der Fall, sagt Jonas Wenger vom Fachverband Sucht, dem Dachverband von über 300 Deutschschweizer Suchtorganisationen.

Eine Alkoholabhängigkeit sei oft ein Tabu, das nicht direkt angesprochen werde. «Viele glauben nach wie vor, dass ein problematischer Alkoholkonsum mit einem schwachen Willen zu tun hat. Es ist aber eine Krankheit», so Wenger. Das Projekt in Münsterlingen sei wichtig, weil man nicht nur hinschaue, sondern handle.

Prävention oft zu teuer

Der Kanton Thurgau und das Spital Münsterlingen sind mit dem Pilotprojekt zufrieden und möchten künftig auf allen Abteilungen genauer hinschauen.

Es könnten enorme Folgekosten gespart werden.
Autor: Jonas Wenger Fachverband Sucht

Das wünscht sich Jonas Wenger vom Fachverband Sucht auch von anderen Spitälern. Ein Hindernis seien aber oft die Kosten. «Weil viele Organisationen bei der Prävention involviert sind, ist sie schlecht finanziert und findet darum zu wenig statt. Dabei könnten enorme Folgekosten gespart werden.»

Der Fachverband Sucht ist nach eigenen Angaben im Auftrag der Stiftung Gesundheitsförderung derzeit mit zwei Kantonsspitälern in Kontakt, um die Vernetzung mit Suchthilfe-Organisationen zu verbessern. Das Ziel: Die Versorgung von Menschen mit Suchtdiagnosen, zum Beispiel einer Alkoholabhängigkeit zu verbessern.

SRF1 Regionaljournal Ostschweiz, 18.07.2023, 17:30 Uhr ; 

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