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Thurgauer Kantonsparlament sagt deutlich Ja
Aus Regionaljournal Ostschweiz vom 19.04.2023. Bild: Keystone/PHOTOPRESS-ARCHIV JP / FO
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Pionierkanton Thurgau Opfer von Medikamenten-Tests werden entschädigt

  • Das Thurgauer Kantonsparlament hat Entschädigungen für Betroffene von Medikamentenversuchen in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen zwischen 1940 und 1980 beschlossen.
  • Die Kantonsregierung ist bereit, bei der finanziellen Wiedergutmachung «eine Pionierrolle in der Schweiz» einzunehmen.
  • Gerechnet wird mit maximal 500 Gesuchen mit Entschädigungen von je 25'000 Franken. Auch die Pharmaindustrie solle Mittel beisteuern, hiess es im Parlament.

Entschädigungen für die Opfer der Medikamentenversuche waren im Kanton Thurgau schon früher ein Thema. Der Regierungsrat wollte aber auf eine schweizweite Regelung warten.

SP und Grüne verlangten nun in einer Motion, der Thurgau solle vorangehen, beim Bund sei keine Entschädigungsregelung in Sicht. Die betroffenen Menschen hätten teilweise bereits ein hohes Alter erreicht. Rasches Handeln sei gefragt.

Klares Ja für Entschädigung

Dieser Aufforderung ist der Grosse Rat gefolgt. Er hat die Vorlage mit 66 gegen 42 Stimmen bei neun Enthaltungen deutlich angenommen. Am Schluss ist also die Motion «Es bleibt keine Zeit – Finanzielle Gutmachung für betroffene Menschen von Medikamententests in der Psychiatrischen Klinik» mit einer Zweidrittelmehrheit gutgeheissen worden.

Medikamententests in Münsterlingen

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Drei Millionen Einzeldosen, 3000 betroffene Patienten, womöglich 36 Todesopfer. Das ist die Dimension klinischer Versuche an Menschen zwischen 1946 und 1980 in der Psychiatrie Münsterlingen.

Ein Historikerteam der Universität Zürich untersuchte, was sich in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen am Bodensee bis Ende der siebziger Jahre zugetragen hatte. Die vorgestellten Ergebnisse belegten, dass der Oberarzt und spätere Klinikdirektor Roland Kuhn zwischen 1946 und 1980 in aussergewöhnlicher Weise Medikamentenversuche an Patientinnen und Patienten betrieb, die zeitweise ethischen Standards zuwiderliefen.

Betroffen waren nach Angaben des Forschungsteams mindestens 3000 Patientinnen und Patienten. Weder wussten diese, dass sie Teil von grossangelegten Versuchen waren, noch wurden sie um ihre Einwilligung ersucht.

Den Auftrag für die Untersuchung, die eine Million Franken gekostet hat, gab die Thurgauer Regierung. Sie entschuldigte sich im Herbst 2019 bei den Betroffenen.

Die Gegenstimmen kamen aus dem rechten Lager, insbesondere von der SVP aus «rechtsstaatlichen Gründen», wie Hermann Lei votierte. Alles im Nachhinein über das Portemonnaie zu regeln, was nicht gut gelaufen sei, wolle die SVP nicht unterstützen.

Ich bewundere den Mut des Regierungsrats, hier einen Schritt auf die Opfer zuzugehen.
Autor: Hanspeter Heeb Kantonsrat GLP

Gleich mehrere Rednerinnen und Redner strichen heraus, dass der Thurgau «mit einem guten Beispiel» vorangehen solle. So auch GLP-Kantonsrat Hanspeter Heeb: «Ich bewundere den Mut des Regierungsrats, hier einen Schritt auf die Opfer zuzugehen.» Der Thurgau wolle nicht warten, bis eine nationale Lösung in die Gänge käme und schlage darum diesen Solidaritätsbeitrag vor, sagte dazu die FDP-Parlamentarierin Cornelia Zecchinel mit dem knappen Kommentar: «Chapeau!»

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«Jetzt muss das Gespräch mit der Pharmaindustrie geführt werden.»
aus Regionaljournal Ostschweiz vom 19.04.2023. Bild: Keystone/GIAN EHRENZELLER
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Der Regierungsrat schlägt vor, allen noch lebenden Opfern im Sinne einer Wiedergutmachung 25'000 Franken zukommen zu lassen. Erben sollen davon ausgeschlossen sein. Er geht davon aus, dass es sich um maximal 500 Fälle handelt. Entsprechend müssten bis zu 12.5 Millionen Franken bereitgestellt werden.

Ich glaube nicht, dass die Pharmaindustrie per se eine Beteiligung ausschliesst.
Autor: Urs Martin Thurgauer Finanzdirektor SVP

Da die Pharmaindustrie eine massgebliche Mitverantwortung trage, werde eine Beteiligung im gleichen Umfang erwartet, so Regierungsrat Urs Martin. Er sagt gegenüber Radio SRF, dass sich die Pharmaindustrie ihrer Verantwortung bewusst sei und betont: «Ich glaube nicht, dass diese per se eine Beteiligung ausschliesst.»

Man habe den Kontakt mit der Industrie aufgenommen, erste Gespräche seien geplant. Eine der Schwierigkeiten sei, dass es die Firmen, die damals an den Medikamentenversuchen beteiligt waren, heute so nicht mehr gebe.

Nun wird zuerst eine Gesetzesvorlage ausgearbeitet. Laut Regierungsrat Urs Martin soll die Auszahlung erster Entschädigungen frühestens ab Anfang 2025 möglich sein.

Regionaljournal Ostschweiz, 19.04.2023, 12:02 Uhr;

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