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Polit-Drama in Graubünden Historisches Verdikt: erstmals Abwahl einer Stadträtin in Chur

Sandra Maissen, die bisherige Stadträtin von Chur, wurde deutlich abgewählt. Dass eine amtierende Stadträtin an der Urne abgestraft wird, gab es in der Bündner Hauptstadt noch nie. Ein Polit-Drama in drei Akten.

Die Abwahl der Churer Stadträtin Sandra Maissen am vergangenen Sonntag hat viele überrascht. «Es war ein Schock», sagte der wiedergewählte Stadtrat, Patrik Degiacomi. «Es ist etwas, was es extrem selten gibt.» Tatsächlich gab es noch nie eine Abwahl einer Stadträtin in Chur.

Erster Akt: Die Kritik

Vor allem der Führungsstil der Verantwortlichen des Baudepartements wurde oft kritisiert. Während ihrer Amtszeit häuften sich laut Medienberichten insbesondere in ihrem Departement die Abgänge.

Wer ist Sandra Maissen?

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Churer Stadträtin Sandra Maissen in einem grünen Outfit.
Legende: Nach langer Politkarriere nur noch bis Ende Jahr im Churer Stadtrat: Sandra Maissen. RTR

Die 59-Jährige ist in der Bündner Hauptstadt geboren und aufgewachsen. Sie hat einen Executive MBA der Hochschule St. Gallen und ein Rechtsanwaltspatent des Kantons Zürich.

Politisiert wurde sie in Chur und war Anfang der 1980er-Jahre Mitbegründerin der Jungen CVP Graubünden. Sie blieb der Partei, die heute als Die Mitte bekannt ist, treu.

Beruflich war sie von 2009 bis 2018 als Generalsekretärin der Konferenz der Kantonsregierungen tätig und von 2018 bis 2020 Geschäftsführerin eines Start-ups.

Zwar nicht über die Kündigungen, sondern über Ungereimtheiten bei zwei Personalien berichtete letzte Woche die Geschäftsprüfungskommission (GPK) der Stadt Chur. Weiter kritisierte die GPK die derzeitige Zusammenarbeit im Stadtrat und beschreibt eine getrübte Stimmung und mangelndes Vertrauen. Zwei Fälle von Verfahrensabläufen, die nicht eingehalten wurden, werden erwähnt, beide im Bereich von Maissens Zuständigkeit. Maissen verteidigt ihre Entscheidungen als pragmatische Lösungen.

Die Stimmung im Stadtrat erlebe ich eigentlich als angespannt und auch nicht immer respektvoll.
Autor: Sandra Maissen Stadträtin

Nicht nur der Inhalt des Berichts sorgte für Diskussionen, sondern auch der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Denn er wurde nur wenige Tage vor den Stadtratswahlen bekannt gegeben. Ob der Bericht auf die Abwahl von Sandra Maissen einen Einfluss hatte, darüber lässt sich nur spekulieren.

Zweiter Akt: Der Schreckmoment

Sonntag, 18:00 Uhr: Im Churer Rathaus warten die Stadtratskandidaten gespannt auf die Bekanntgabe der Ergebnisse. Der Stadtschreiber schreitet an sein Pult und verkündet die Resultate. Nachdem Hans Martin Meuli (FDP) sich den letzten Platz im Gremium sicherte, war klar, dass die Mitte-Politikerin das Rennen nicht für sich entscheiden konnte. Ein verhaltener Applaus begleitete die Enthüllung.

Sandra Maissen umgeben von ihren Unterstützern.
Legende: Moment der Wahrheit: Hier erfährt Sandra Maissen zum ersten Mal von ihrer Abwahl. RTR

Nach der Verkündung des Ergebnisses verschwand Maissen aus dem Saal und lehnte Interviews ab, mit der Ankündigung, sich schriftlich am Mittwoch zu äussern. Nachdem sie drei Tage geschwiegen hatte, spricht Sandra Maissen dann mit dem Regionaljournal Graubünden von Radio SRF.

Dritter Akt: Die Abrechnung

«Ja, die Enttäuschung ist natürlich nach wie vor gross.» Maissen erklärt sich ihre Abwahl durch eine fehlende Solidarität unter den bürgerlichen Parteien und Frauen. «Am Schluss bin ich eigentlich zwischen zwei Fronten gewesen.»

Weiter habe die negative Berichterstattung über ihre Person und die Veröffentlichung des GPK-Berichts, einen negativen Einfluss auf das Wahlergebnis gehabt. Sie empfinde das Timing der Veröffentlichung als unfair. Es habe keine zeitliche Dringlichkeit gegeben und «ich habe sogar das Gefühl, dass es auch politisch motiviert gewesen sein könnte».

Über die Zusammenarbeit innerhalb der Churer Exekutive sagt Maissen: «Die Stimmung im Stadtrat erlebe ich eigentlich als angespannt und auch nicht immer respektvoll», ein Teil davon sei wahrscheinlich den Wahlen geschuldet. Sie schlägt vor, das Gremium auf fünf Personen zu erweitern, um mehr Pluralität und bessere Entscheidungen bei grossen Projekten zu ermöglichen. Chur hat nur drei Stadträte, was in der Schweiz eine Seltenheit ist. Die meisten grossen Städte haben fünf oder mehr.

Die Mitte-Politikerin betont, dass man der Bevölkerung einen funktionierenden Stadtrat schulde und dies bisher so war und «mit einem professionellen Verhalten und Benehmen ist dies auch weiterhin möglich».

Regionaljournal Graubünden, 12.6.2024, 17:30 Uhr ; 

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