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Politische Landschaft Differenzen zwischen Stadt und Land spalten tiefer als Sprache

Eine Studie hat die Schweiz politisch kartografiert: Röstigraben ist passé, Tiefsteuerkantone tendieren nach rechts.

Spaltung akzentuiert: «Entlang des Stadt-Land-Gegensatzes ist die Schweiz zunehmend gespalten», sagt Politgeograf Michael Hermann. Er hat die Daten von 266 Urnengängen in den letzten 30 Jahren zusammengestellt und analysiert und die politische Landschaft neu strukturiert. Während eine erste solche Studie 2003 zur Publikation eines Buches führte, wurde die jetzige von der «Alliance économice-politique» in Auftrag gegeben.

Röstigraben: Die Diskussion um den so genannten Röstigraben, über die Unterschiede in der Mentalität der Deutschschweiz und der Westschweiz sei in den 90-er Jahren, im Nachgang zur EWR-Abstimmung, losgegangen, sagt Hermann. Die Westschweiz hätte den EWR-Vertrag angenommen und fühlte sich dominiert von der Deutschschweiz. Nachher kam eine Wirtschaftskrise, die die Westschweiz stärker betraf. Als Reaktion sei die Romandie linker geworden. Allerdings schliesse sich der Graben seit 2005 wieder allmählich.

Stadt-Land-Graben: Die grossen und die mittelgrossen Städte haben sich gemäss der Analyse von Hermann politisch verschoben, nicht nur nach links, sondern sie seien auch progressiver und liberaler geworden. «Bei europapolitischen Vorlagen ist es heute typisch, dass die Städte auf der Seite der Öffnung sind, das Land und zum Teil auch die Agglomeration auf der anderen Seite», sagt Hermann.

Das Gegenteil der Städte: Seit 1990 stimmen die Kantone mit Tiefsteuerstrategien – das sind Zug, Nid- und Obwalden und Schwyz – immer rechter. Diese Kantone zögen Leute an, die wenig Steuern zahlen und einen schlanken Staat wollen. «Typischerweise haben diese Leute eine ganz andere Mentalität.»

Land überstimmt Stadt: Beispielsweise im Kanton Bern kommt es vor, dass das Land die Stadt überstimmt, dass die Interessen sichtbar auseinandergingen. Auch in Zürich gebe es einen Stadt-Land-Graben innerhalb des Kantons, doch führe dieser zu weniger Konflikten, so Hermann.

Grenzstädte: Grundsätzlich sind Städte, die nicht an ein anderes Land grenzen – Zürich, Bern, Lausanne – progressiver geworden als Grenzstädte wie Basel, Genf oder Lugano. Dies sei den Erfahrungen mit der Grenzöffnung zuzuschreiben, so Hermann.

Berns Linksrutsch: Keine andere Stadt ist in den letzten Jahren mehr nach links gerutscht als Bern. Laut Hermanns Daten ist Bern inzwischen die progressivste Stadt. Bern als Verwaltungsstadt war lange eine der Städte, die am wenigsten links waren. «Die Basis der Linken ist nicht mehr die Arbeiterschaft, sondern es sind Leute aus dem sozialen und kulturellen Bereich und solche, die in staatsnahen Unternehmen arbeiten.» Das neue, postmaterielle Milieu sei in Bern stark ausgeprägt.

Rechts-konservativ Rutsch im Tessin: Als einzige Stadt in der Schweiz ist Lugano in den letzten 30 Jahren nach rechts gerutscht. Lugano sei stark dem Druck von Norditalien ausgesetzt, wie der ganze Kanton.«Das Thema Grenzgänger ist dort besonders stark», sagt Hermann. Dazu kommt, dass viele tertiär Gebildete aus dem Tessin in die Zentren der Deutschschweiz zögen, es entstehe eine Art Braindrain.

«Bubblebildung» (zunehmende räumliche Entmischung): Beobachtbar sei, dass sich Leute, die sich dasselbe leisten können, sich in einer Stadt, insbesondere in den grösseren, sammeln, so Hermann.

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