«Respekt» rufen am Wochenende etwa 1000 Personen in der Lausanner Innenstadt. Sie zeigen Solidarität mit Georg Floyd. Sie sind aber auch wütend, weil es in der Waadt mindestens einen ungeklärten Todesfall eines Nigerianers bei einer Festnahme gibt. Die Strafuntersuchung läuft noch.
Viele der schwarzen Demonstrierenden fühlen sich von der Polizei diskriminiert. Zum Beispiel der junge Lausanner Joël Monsoni: Er sei mit Freunden schwarzer Hautfarbe in einer Bar von lokalen Gästen angefeindet worden, erzählt er. Die alarmierte Polizei habe nicht geholfen: «Als wir das Lokal verliessen, sagten sie nur: Haut ab, oder wir buchten euch ein.»
Als wir das Lokal verliessen, sagten sie nur: Haut ab, oder wir buchten euch ein.
Traumatisch sei das gewesen, denn sie hätten nichts gemacht, und die Polizei habe das Problem nur bei den Schwarzen gesucht. Wen man auch fragt mit schwarzer Hautfarbe an dieser Demonstration: Fast alle erzählen eine Geschichte. Überprüfbar sind ihre Aussagen nicht, aber es dominiert ein Grundgefühl von Ungleichbehandlung.
Von der lauten Demo ins stille Wallis: Dort sitzt der ehemalige Genfer Polizist Alain Devegney am Esstisch seines Chalets. Der 64-Jährige mit grauem Bart und ausgewaschenen Jeans ordnet die Aussagen von Joël Monsoni ein: «Die Patrouille wollte wohl möglichst schnell wieder Ruhe – natürlich fühlt man sich da ungerecht behandelt.»
Die Patrouille wollte wohl möglichst schnell wieder Ruhe – natürlich fühlt man sich da ungerecht behandelt.
Früher war er Polizeihundeführer, dann bei der Einsatztruppe und bei der Gendarmerie am Genfer Bahnhof Cornavin. Seine Vergangenheit ist speziell: Sein Vater verunglimpfte Italiener und Spanier, er selbst schloss sich der Partei «Vigilance» (Wachsamkeit) an, für die er im Genfer Stadtparlament sass.
Die Partei gibt es nicht mehr. Sie wehrte sich gegen die Zuwanderung und unterstützte die Schwarzenbach-Initiative.
«Wir kämpften, weil wir Angst hatten, wir hatten noch nie so viele Schwarze in den Strassen gesehen. Für die Polizei war es nicht einfach. Auch die Arbeit veränderte sich, da viele Schwarze dealten», erzählt Devegney. Er betont, dass er Polizeiarbeit und Politik stets getrennt habe.
Das Schlüsselerlebnis
Als Sicherheitsbegleiter auf Flügen der damaligen Swissair wird er von einer Armeepatrouille im Kongo ausgeraubt. Er wird mit Gewehren bedroht, muss sich ausziehen.
Das habe in ihm etwas ausgelöst, sagt Devegney: «Wir hatten Angst und kamen wütend zurück. Aber wir hinterfragten uns: Das muss die Hölle sein, wenn Polizei und Armee in einem Land vor allem die eigenen Bewohner ausrauben. Für uns Schweizer ist so eine Situation absurd.»
Wir hatten Angst und kamen wütend zurück. Aber wir hinterfragten uns.
In Genf trifft er bei einer Ausbildung die Leiterin einer Hilfsorganisation, die sich für Mediation einsetzt. Mit ihr und einem weiteren Polizisten baut Devegney ab 2000 ein Mediationsnetzwerk auf. Ziel: Auf Ausländergemeinschaften zugehen und Mediatoren suchen, die bei Beschwerden gegen die Polizei vermitteln.
Für Ausländer, von denen viele Angst vor der Polizei hätten, bedeute eine Entschuldigung viel, sagt Devegney: «Viele waren gerührt, wenn die Polizei Ungerechtigkeiten einräumte.»
Heute gibt es diese Form der Mediation nicht mehr. Die Genfer Polizei verweist auf die offizielle Mediationsstelle. Diese hat 2019 knapp 70 Beschwerden behandelt. Aktiv auf Ausländergruppen geht man nicht mehr zu. Das stört Devegney.
Die Proteste seien ein Warnsignal. Die Lösung führe über mehr Diversität bei der Polizei: «Das einzige Mittel sind mehr Polizisten aus Schweizern ausländischer Herkunft der zweiten und dritten Generation.»
Das einzige Mittel sind mehr Polizisten aus Schweizern ausländischer Herkunft der zweiten und dritten Generation.