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Presseschau Generalstreik «Forderungen wie das Frauenstimmrecht sind zu verpönen»

Der Landesstreik führte die Schweiz vor 100 Jahren in die grösste innenpolitische Krise. Eine Presseschau aus der damaligen Zeit.

Die sozialdemokratische «Berner Tagwacht» ruft am Montag 11. November 1918 die Arbeiter zum Streik auf. Sie zitiert das Oltener Aktionskomitee, das den Streik organisiert und Forderungen stellt: «Hoch die Solidarität, es lebe die neue Zeit.»

Nach den Interventionen des Militärs ruft das Aktionskomitee in der Nacht auf den 14. November zum Streikende auf – auch wenn es die Mächtigen per Pressemitteilung scharf kritisiert: «Die militärischen Herrschaften und der Bundesrat sind um eine Blamage reicher.»

Hoch die Solidarität, es lebe die neue Zeit
Autor: Oltener Aktionskomitee 1918

Die «Basler Nachrichten» drucken die Mitteilung ab – und kommentieren sie. Mit Anspielung auf den berühmt-berüchtigten sozialdemokratischen Nationalrat Robert Grimm, die treibende Kraft des Landesstreiks. «Diese schnodderigen Anmerkung echt grimmschen Kalibers wird niemanden täuschen. Von einer Blamage des Bundesrates zu reden, ist ein Verzweiflungsakt.»

Kavallerie Patrouille auf dem Kornhausplatz während des Landesstreiks.
Legende: Kavallerie patrouilliert auf dem Berner Kornhausplatz während des Landesstreiks. Swiss Federal Archives

Freude auf bürgerlicher Seite

Die bürgerliche Presse lobt den Bundesrat und seine harte Haltung den Arbeitern gegenüber. Etwa das «Berner Tagblatt»: «Was im ganzen Volke mit grosser Freude begrüsst wurde, war die feste Haltung des Bundesrates.»

Die katholisch-konservative Luzerner Zeitung «Vaterland» begrüsst, dass die Landesregierung die Forderungen der Streikenden nicht erfüllt hat: «Forderungen wie das Frauenstimmrecht über Nacht zu fordern, ist zu verpönen.»

Eine Lokomotive wird während des Landesstreiks besetzt
Legende: Eine Lokomotive in Bern wird während des Landesstreiks besetzt. Swiss Federal Archives

Das sozialdemokratische Organ die «Berner Tagwacht», musste den Streikabbruch begründen – sah aber die Obrigkeit als die eigentliche Verliererin. «Die stolzen Herrschaften, die aus Leibeskraft in die Welt hinausschrieen, sie hätten den Kampf gewonnen, merken hinterher, dass sie die Partie verloren haben.»

Und tatsächlich: Ganz umsonst ist der Landesstreik nicht. Etwas später wird in der Schweiz etwa die 48-Stunden-Woche eingeführt.

«Immerhin kein Bürgerkrieg»

Andere Töne schlägt die freisinnige «Neue Zürcher Zeitung» an. Es ist die Zeit kurz nach der Oktober-Revolution und für die NZZ ist klar, wer den Schweizer Sozialdemokraten den Floh ins Ohr gesetzt hat: «Die Theoretiker und Praktiker der Revolution in Russland haben es unseren sozialistischen Heissspornen angetan.»

Und die NZZ zieht nach dem Generalstreik Bilanz. «Der Streik ist nach vier Tagen schweren wirtschaftlichen Schäden wenigstens ohne eigentlichen Bürgerkrieg zu Ende gegangen.»

Von den drei Arbeitern und dem Soldaten, die während des Streiks unter teils ungeklärten Umständen starben, ist in den Zeitungen kaum die Rede.

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