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Prozess gegen «Carlos» «Kleine Verwahrung» ist denkbar

Der Verteidiger fordert eine geringe Freiheitsstrafe, die Staatsanwaltschaft hingegen 7.5 Jahre Gefängnis. Ein Dilemma.

Am Mittwochnachmittag fällt das Bezirksgericht Dielsdorf (ZH) das Urteil im Fall «Carlos», der Brian genannt werden will. Das Dilemma der Richter ist gross: Sollen sie dem Verteidiger folgen, der eine geringe Freiheitsstrafe für den 24-Jährigen verlangt? Oder dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgen und Brian zu 7.5 Jahren Gefängnis verurteilen und dazu noch ordentlich verwahren bis von ihm keine Gefahr mehr ausgeht?

Laut einer Studie von Thomas Freytag, Vorsteher des Amtes für Justizvollzug des Kantons Bern, sind in den vergangenen 10 Jahren gerade mal 2 Prozent der Verwahrten freigekommen – und meist erst dann, wenn sie altersschwach waren.

Strafrechtsprofessor Jositsch: «Verwahrung nicht verhältnismässig»

Für den Zürcher Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch ist eine ordentliche Verwahrung von Brian «nicht verhältnismässig» und sehr fragwürdig. «Verglichen mit anderen Verwahrten hat dieser Täter mit einer schweren Körperverletzung eher ein untergeordnetes Delikt begangen. Und es handelt sich um einen sehr jungen Täter. In der Kombination wäre eine Verwahrung aus meiner Sicht nicht verhältnismässig.»

Auch den forensischen Psychiater Frank Urbaniok würde eine ordentliche Verwahrung überraschen: «Dies wäre aussergewöhnlich, weil die Vorbehalte bei der Verwahrung eines sehr jungen Täters verständlicherweise sehr gross sind.»

Kantonsrichterin Heer: «So jemanden kann man nicht auf die Strasse lassen»

Auch die Forderung des Verteidigers, nämlich eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, die Brian bereits in U-Haft abgesessen hat und darum sofort frei käme, ist für die Luzerner Kantonsrichterin Marianne Heer keine Option: «Wenn der Sachverständige im Gutachten eine erhöhte Gefährlichkeit feststellt, kann man so jemanden nicht auf die Strasse lassen. Das ist unverantwortbar.»

Der psychiatrische Gutachter prognostiziert im Fall von Brian eine hohe Rückfallgefahr und eine geringe Bereitschaft zu einer Therapie. Trotzdem könnte gerade eine Therapie einen Ausweg aus dem Dilemma darstellen.

«Kleine Verwahrung» als möglicher Ausweg

Für Juristin und Gerichtsreporterin Brigitte Hürlimann ist die als «kleine Verwahrung» bezeichnete Massnahme für das Gericht eine Option, obwohl weder Verteidigung noch Staatsanwaltschaft dies fordern.

«Kleine Verwahrung» nach Artikel 59 StGB

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Bei der «kleinen Verwahrung» handelt es sich um eine stationäre therapeutische Massnahme nach Artikel 59 im Strafgesetzbuch. Ein Gericht kann sie anordnen, wenn ein Täter psychisch schwer gestört ist, die Tat mit dieser Störung in Zusammenhang steht und zu erwarten ist, dass sich durch die therapeutische Massnahme weitere Taten verhindern lassen. Eine solche stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Einrichtung oder im Massnahmenvollzug dauert in der Regel maximal 5 Jahre. Das Gericht kann jedoch eine solche Massnahme auf Antrag der Justizvollzugsbehörde jeweils um weitere 5 Jahre verlängern.

Sowohl Strafrechtsprofessor Daniel Jositsch wie auch die Luzerner Kantonsrichterin Marianne Heer sehen im Artikel 59 einen möglichen Ausweg. «Aus juristischer Sicht ist dies möglich und wünschenswert», sagt Jositsch. Der Täter muss aber zu einer Therapie bereit sein, was Brian laut einem Gutachten aber nicht ist.

Die Anträge als Kästchen nebeneinander dargestellt.
Legende: Die Anträge von Verteidigung, Staatsanwaltschaft und als Option die Kleine Verwahrung. SRF

Jositsch gibt aber zu bedenken: «Der Mann ist sehr jung. Wenn man sagt, der ist nicht therapiewillig, muss man bedenken: Der ist noch nicht am Ende seiner Entwicklung. Deshalb denke ich, da ist noch einiges möglich.»

Auch die Luzerner Kantonsrichterin Marianne Heer sieht die Möglichkeit einer stationären Massnahme, selbst wenn Brian nicht als therapiewillig erscheine. «Man kann eine Motivation ja auch herstellen im Rahmen einer Behandlung und macht erst einmal einen Versuch einer therapeutischen Massnahme im gesicherten Rahmen. Die Sicherheit der Öffentlichkeit wäre gewährleistet. Solche Massnahmen nach Artikel 59 können regelmässig verlängert werden und man hätte genügend Zeit, zu probieren, ob er zur Einsicht kommt.»

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