Es waren wüste Szenen, die sich am 12. September 2015 in Bern abspielten. Ein dunkler Mercedes rammte eine Gruppe von kurdischen Demo-Teilnehmern und verletzte fast zehn Menschen. Jetzt hat ein Richtergremium am Regionalgericht Bern-Mittelland den Fahrer freigesprochen vom Vorwurf der versuchten Tötung und der versuchten schweren Körperverletzung. Es gebe keine Beweise, dass der Mann absichtlich Menschen verletzen wollte.
Was ist passiert?
An jenem Samstag versammelten sich Anhängerinnen und Anhänger der türkischen Regierung in Bern zu einer bewilligten Kundgebung. Kurdische Demonstranten wollten den türkischen Aufmarsch stören. Bereits da kam es zu Scharmützeln. Demonstrationsteilnehmer und Polizisten gerieten aneinander.
Auch der Fahrer und seine Familie wollten an der Demonstration teilnehmen. Auf der Suche nach einem Parkplatz stiessen sie auf eine Gruppe kurdischer Demonstranten, die den Mercedes stoppten. Fahrer und Beifahrer stiegen aus und seien sofort verprügelt worden. Der Fahrer konnte sich verletzt ins Auto retten und fuhr aus dem Getümmel heraus. Bereits da erfasste er mehrere Kurden.
Nach wenigen hundert Metern wendete der Fahrer sein Auto und fuhr zurück in Richtung der Kurdengruppe – ohne Brille, blutüberströmt und mit zerschlagener Frontscheibe. Dabei rammte er mehrere Menschen, die teils arg verletzt wurden. Die Fahrt endete, als die Polizei den Fahrer stoppen konnte.
Der Prozess
Die Staatsanwältin sah eine vorsätzliche Tat, eine Amokfahrt aus Rache. Sie forderte acht Jahre Gefängnis. Der Fahrer habe schwere Verletzungen und gar den Tod der Opfer in Kauf genommen, als er zurück in die Kurdengruppe gefahren sei.
Das sah das Richtergremium klar anders. Der türkische Fahrer sei unter den Eindrücken der schweren Angriffe durch die kurdischen Vertreter gestanden. Dort seien gegen ihn auch Todesdrohungen ausgestossen worden. Auf der Weiterfahrt seien die Angreifer dem Auto nachgerannt.
Der Mann sei verängstigt gewesen und habe keine vernunftgesteuerte Entscheidung getroffen. Vielmehr sei er heillos überfordert gewesen und wollte sich aus einer Sackgasse befreien, als er sein Auto wendete und zurückfuhr. Sein Handeln sei zum einen als Notwehr zu bezeichnen, zum andern als entschuldbares Fehlverhalten in einer Ausnahmesituation.
Freispruch
Der Anwalt des freigesprochenen Mannes zeigte sich erleichtert, dass die Richterinnen und Richter kein politisches Urteil gefällt, sondern nüchtern die Geschehnisse und die Beweise beurteilt hätten. Seinen Mandanten verfolgten die Geschehnisse bis heute, weshalb er sich auch vom Prozess dispensieren liess.
Seitens der Verletzten des Aufpralls erschien ein Privatkläger vor Gericht. Er erlitt beim Aufprall einen Schulterbruch, Hautdurchtrennungen und eine Hirnerschütterung. Der Freispruch mache ihn wütend, sagte er nach der Urteilsverkündung. Ob er das Urteil zur nächsthöheren Instanz weiterziehen wird, liess der Privatkläger offen. Auch die Staatsanwältin wollte sich heute nicht festlegen.