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Radioaktive Abfälle Nagra entscheidet sich für Atommüll-Endlager Nördlich Lägern

  • Ein geologisches Tiefenlager für die Endlagerung von Atommüll wird im Gebiet Nördlich Lägern in der Gemeinde Stadel (ZH) gebaut. Das bestätigte das Bundesamt für Energie (BFE).
  • Die Zürcher Kantonalparteien SVP und SP teilen mit: Sollte Nördlich Lägern tatsächlich das sicherste Gebiet für ein Endlager sein, sei dieser Standortentscheid zu akzeptieren.
  • Im Tiefenlager sollen schwach-, mittel- und hochradioaktive atomare Abfälle für zehntausende bis hunderttausende von Jahren versenkt werden.
Karte.
Legende: SRF

Das geologische Tiefenlager werde im Gebiet Nördlich Lägern entstehen, sagte BFE-Sprecherin Marianne Zünd. Die Brennelement-Verpackungsanlage werde beim Zentralen Zwischenlager (Zwilag) in Würenlingen (AG) gebaut. Die betroffene Bevölkerung ist am Samstag von den Behörden direkt informiert worden. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) will am Montag in Bern über den Entscheid informieren.

Die Region Nördlich Lägern liegt im Zürcher Unterland. Sie umfasst zwölf Gemeinden im Kanton Zürich und drei im Kanton Aargau, in der rund 52'000 Personen wohnen. Zur Standortregion gehören über 30 weitere Gemeinden, die von einem möglichen Tiefenlager betroffen sind – auch in Nachbarkantonen und Deutschland.

Geeignete Geologie mit Opalinuston

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Die wichtigsten natürlichen Barrieren bei einem geologischen Tiefenlager für radioaktive Abfälle sind stabile und dichte Gesteinsschichten, wie der Kanton Zürich auf seiner Internetseite schreibt. Sie sollen verhindern, dass Radioaktivität aus dem Tiefenlager austreten kann.

Im Zürcher Unterland liege mit dem Opalinuston ein Gestein für das Tiefenlager vor, das praktisch wasserundurchlässig ist und sich selbst abdichtet, wenn es mit Wasser in Kontakt kommt. Geologen hätten zudem die Langzeitstabilität der Gesteinsschicht als günstig beurteilt, heisst es weiter. Gemäss Erkenntnissen der Nagra aus den Tiefbohrungen sei der Opalinuston sehr dicht.

Für die Anlagen auf der Oberfläche werden bis zu acht Hektaren benötigt. Das entspricht rund elf Fussballfeldern. Die gesamte Infrastruktur an der Erdoberfläche benötigt eine Fläche von bis zu 20 Hektaren.

Die Nagra hat bisher zwei Standorte für die Anlage auf der Oberfläche vorgestellt: zwischen Weiach (ZH) und Zweidlen-Station (Glattfelden) sowie im Haberstal in der Gemeinde Stadel (ZH). Der Zürcher Regierungsrat sowie die Regionalkonferenz Nördlich Lägern, die aus 130 Personen aus den Gemeinden, Planungsverbänden und Interessengruppen der betroffenen Regionen besteht, haben sich für den Standort Haberstal ausgesprochen.

Karte des Standort Nördlich Lägern
Legende: Der Standortvorschlag der Nagra in Nördlich Lägern. Nagra

Drei potenzielle Standorte diskutiert

Seit fast 50 Jahren wurde in der Schweiz nach einem geeigneten Standort für die Lagerung radioaktiver Abfälle gesucht. Dafür gab es zuletzt drei potenzielle Standortgebiete: Neben Nördlich Lägern waren dies Standorte in der Region Zürcher Weinland sowie in der Region Jura Ost im Aargau.

Der Platz der früheren Nagra Tiefbohrung Stadel 3 in Nördlich Lägern.
Legende: Der Platz der früheren Nagra Tiefbohrung Stadel 3 in Nördlich Lägern. KEYSTONE / Michael Buholzer

Nördlich Lägern war vorübergehend aus dem Rennen gefallen, wurde aber dann wieder als möglicher Standort ins Auge gefasst.

Jahrelanges Genehmigungsverfahren

Die Nagra will gegen Ende 2024 ihr Gesuch beim Bund einreichen. Der Bundesrat dürfte Ende 2029 den definitiven Standortentscheid fällen. Danach muss das Parlament das Lager genehmigen.

Es ist absehbar, dass es dazu auch noch eine Volksabstimmung geben wird. Geplanter Baustart ist 2045 und erste Abfälle könnten dann um das Jahr 2050 eingelagert werden. Danach folgt eine «Beobachtungsphase», die 50 Jahre lang dauern soll. Im Jahr 2115 soll das Lager dann verschlossen werden.

Reaktion vom Standort Jura Ost (Bözberg)

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Im Widerstand gegen einen möglichen Endlager-Standort Jura Ost am Bözberg fühlt sich der Verein Kein Atommüll im Bözberg (Kaib) grundsätzlich bestätigt. Man habe immer auf die geologischen Probleme dort hingewiesen. «Insofern sind wir froh», sagte Kaib-Präsident Max Chopard, ehemaliger Nationalrat (SP/AG) zum Standortvorschlag der Nagra in Nördlich Lägern. Er wies darauf hin, dass an allen drei Standorten offene Sicherheitsfragen bestünden.

Der Regierungsrat des Kantons Aargau wird zusammen mit dem Zürcher Regierungsrat erst am Montag offiziell Stellung nehmen. Das sagte der Aargauer Regierungssprecher Peter Buri auf Anfrage von Keystone-SDA.

Der Regierungsrat Aargau hatte sich immer gegen den Standort Jura Ost für ein Endlager ausgesprochen, aber ein konstruktives Mitarbeiten versprochen. Die Kantonsregierung sorgte sich beim Standort Jura Ost um das Grundwasser sowie die Nutzung von Mineral- und Thermalwasser. Die Flusstäler der Aare und des Rheins seien bedeutende Grundwasserspeicher und -lieferanten.

Noch viele Fragen offen

In der Region kommt der Entscheid nicht gut an: «Es gibt doch keinen Ort, der ein Tiefenlager auf seinem Gebiet will», sagte Dieter Schaltegger, Gemeindepräsident von Stadel (ZH) der Agentur Keystone-SDA.

Der Verein Lägern ohne Tiefenlager (Loti) bezweifelt, ob sich die Region wirklich eigne.

In ersten Reaktionen halten die SVP und die SP des Kantons Zürich fest: Sollte sich erweisen, dass Nördlich Lägern das sicherste Gebiet sei, sei dieser Standortentscheid zu akzeptieren.

Für die Zürcher Grünen ist klar, dass die Schweiz die Verantwortung für ihre eigenen atomaren Abfälle übernehmen müsse und einen verbindlichen Atomausstieg planen müsse.

Auch für die Zürcher FDP ist unbestritten, dass in der Schweiz entstandener Abfall auch hier entsorgt werden müsse.

Für die Umweltorganisation Greenpeace ist der Entscheid nur ein kleiner Fortschritt, denn die Langzeitlagerung von Atommüll werde Generationen beschäftigen.

Deutschland: «Belastung für Gemeinden»

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Das Bundesumweltministerium hat die Entscheidung der Nagra für ein Atommüll-Endlager direkt an der Grenze zu Deutschland als Belastung für die betroffenen Gemeinden bezeichnet. Die grenznahe Lage beim baden-württembergischen Ort Hohentengen am Hochrhein «stellt sowohl in der Errichtungsphase als auch beim Betrieb des Endlagers für diese und umliegende Gemeinden eine grosse Belastung dar», sagte Christian Kühn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium und Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg.

«Ich setze mich bei der Schweiz dafür ein, dass die bisherige gute Einbindung der deutschen Nachbarn fortgesetzt wird.» Gleichzeitig betonte Kühn, dass es richtig und wichtig sei, dass die Geologie das entscheidende Kriterium für die Standortwahl eines Endlagers ist. In Deutschland steht die Entscheidung für einen eigenen Endlager-Standort für hochradioaktiven Atommüll frühestens 2031 an.

Echo der Zeit, 9.9.2022, 18:00 Uhr ; 

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