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Rahmenabkommen mit EU Calmy-Rey zum Rahmenabkommen: «Die Lage ist sehr peinlich»

Micheline Calmy-Rey geht mit dem Bundesrat hart ins Gericht. Das Rahmenabkommen ist für die Sozialdemokratin und frühere Aussenministerin «fast tot».

Micheline Calmy-Rey

Ehemalige Aussenministerin

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Die SP-Politikerin war von 2003 bis 2011 als Mitglied des Bundesrates Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA). Von 1997 bis 2002 war Calmy-Rey Mitglied des Genfer Staatsrat.

SRF: Micheline Calmy-Rey, würden Sie in diesen fürs Rahmenabkommen entscheidenden Tagen am liebsten gleich selbst nach Brüssel reisen?

Micheline Calmy-Rey: Nein. Ich finde die Lage eher peinlich. Es tut mir weh, das zu sehen.

Was ist peinlich?

Was passiert! Man kann die Ergebnisse des Treffens zwischen dem Bundespräsidenten und der EU-Kommissionspräsidentin kaum beurteilen. Die EU sagt etwas, die Schweiz sagt etwas anderes. Und der Bundesrat scheint nicht zu wissen, was er will.

Der Bundesrat scheint nicht zu wissen, was er will.

Bundespräsident Guy Parmelin schlägt selbstbewusste Töne an: Die EU müsse sich bewegen. Das Paket sei nicht ausgewogen. Passt Ihnen die neue Tonalität?

Telefongespräch mit Brüssel

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Eine Woche nach dem Treffen von Bundespräsident Guy Parmelin und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel haben die beiden Unterhändlerinnen erneut miteinander telefoniert.

Zum Inhalt, was Staatsekretärin Livia Leu und EU-Chefunterhändlerin Stéphanie Riso konkret besprochen haben, wollte sich die EU-Kommission hingegen nicht äussern.

Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) schrieb auf Anfrage lediglich, die Schweiz habe ihre Vorschläge zu den drei offenen Punkten wiederholt und betont, dass sie noch auf Antwort warte.

Ich finde, er hat das gut gemacht. Aber zurück in der Schweiz ging er in die aussenpolitische Kommission des Nationalrats. Diese sagte: Der Bundesrat muss weiterverhandeln. Die Kommission des Ständerats sagte: Wir vertrauen euch – macht, was ihr wollt. Und man hat den Eindruck, der Bundesrat ist uneinig.

In den letzten Wochen wurde die Konkurrenz zwischen den Bundesräten offensichtlich. Ist das normal bei einem so heissen Dossier?

Eine gewisse Konkurrenz ist normal. Aber die Frage des institutionellen Abkommens ist eine Schicksalsfrage. Dass sich der Bundesrat hier nicht einigen kann – da stossen wir an die Grenzen des Konkordanzsystems: Jeder denkt für sich. Niemand will die heisse Kartoffel anfassen. Die Lage ist sehr peinlich.

Die Frage des institutionellen Abkommens ist eine Schicksalsfrage.

Aussenminister Ignazio Cassis wurde mit seinen Vorschlägen vom Bundesrat ausgebootet. Was hätten Sie an seiner Stelle gemacht?

Ich kann mir vorstellen, dass es sehr schwierig sein muss für ihn. Ich kann keinen Ratschlag geben. Dieses Abkommen ist fast tot. Noch nicht ganz, aber fast.

Der Bundespräsident spricht von sehr grossen Differenzen. Wo soll es hier noch Möglichkeiten zum Verhandeln geben?

Ich habe den Eindruck, dass es fast gar keine Verhandlungsmöglichkeit mehr gibt. Es ist aber auch keine Katastrophe, wenn wir uns nicht einigen. Unsere Beziehungen mit der EU beruhen nicht nur auf diesem Abkommen. Wir haben auch andere gemeinsame Interessen. Deshalb würde ich sagen: Macht daraus nicht eine Katastrophe!

Macht daraus nicht eine Katastrophe!

Die EU droht bereits mit Nadelstichen gegen Forschung und Exportwirtschaft.

Ja. Es hat einen Preis. Wir sind in einem Dilemma zwischen wirtschaftlichen und politischen Interessen. Das Rahmenabkommen stösst an unsere Souveränitätsgrenzen. Es geht um die Frage des Rechts, das wir anwenden werden – EU-Recht. Das ist wirklich eine Schicksalsfrage.

Sie gewichten also Souveränitäts-Überlegungen stärker als wirtschaftliche Interessen und nehmen in Kauf, dass das Abkommen scheitert?

Ich kann mir schlicht nicht vorstellen, dieses Abkommen in einem Abstimmungskampf zu verteidigen.

Das Interview führte Dominik Meier.

SRF 4 News, Rundschau, 28.04.2021, 21 Uhr ; 

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