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Rasen als Kavaliersdelikt Schlag ins Gesicht der Raseropfer

«119 statt 50», «Tempo-Exzess» oder «fünf Verletzte nach Raserunfall». Fast täglich begegnen wir solchen Schlagzeilen. Dennoch hat der Nationalrat die Raser-Strafnorm massiv aufgeweicht. Vor über acht Jahren wurde dieses Gesetz eingeführt, um Temposünder härter zu bestrafen.

Bereits letzten Herbst hat das Parlament die Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr gestrichen. Jetzt hat der Nationalrat die Abschaffung erneut bestätigt. Rasen kann somit künftig wieder mit Geldstrafen geahndet werden. Auch der Entzug des Führerausweises wird massiv verkürzt, statt bisher zwei Jahre sollen es nur noch 12 Monate sein. Der Kommissionsantrag, dass sogar sechs Monate genug seien, scheiterte nur knapp. Weniger streng beurteilt werden auch die Fahrer von Blaulichtfahrzeugen, etwa Krankenwagen oder Feuerwehrautos.

Gegensteuer der Bundesrätin

Vom Tisch sind zudem diverse Massnahmen, die Bund und Parlament im Rahmen des Verkehrssicherheitspaketes «Via sicura» im Jahr 2013 beschlossen haben. Dazu zählt etwa das Datenaufzeichnungsgerät für notorische Tempobolzer, die sogenannte Blackbox. Oder die Wegfahrsperre für alkoholisierte Autofahrer. Sie kamen nie richtig zum Tragen, heute wurden sie vom Nationalrat beerdigt.

Die Grundlage für die Aufweichung der Raser-Strafnorm musste der Bundesrat auf Geheiss des Parlaments vorschlagen. Die zuständige SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga vertrat sie im Rat mit wenig Begeisterung. «Wir erfüllen, was Sie gewünscht haben» betonte sie mehrmals. Dennoch versuchte Simonetta Sommaruga, da und dort etwas Gegensteuer zu geben, was ihr bei der Dauer des Führerausweisentzugs gelang. Zusammen mit Nationalrätinnen und Nationalräten aus dem links-grünen Lager verhinderte sie, dass Raser den Ausweis nur sechs Monate abgeben müssen.

Starke Lobby

Die Verschärfungen für Raser stehen seit Jahren in der Kritik. Man sei damit über das Ziel hinausgeschossen, monierten mehrere bürgerliche Redner, sie seien zu starr und verhinderten jeden Ermessensspielraum für Richter und Behörden. Gerichte können jedoch schon heute einen Strafrahmen zwischen einem und vier Jahren Freiheitsstrafe anwenden.

Natürlich haben die Raserdelikte mit den Verschärfungen nicht über Nacht aufgehört. Seit 2013 die strengen Gesetze eingeführt wurden, sind die Verurteilungen wegen Geschwindigkeitsübertretungen sehr rasch angestiegen. Das zeigen Erhebungen des Bundesamts für Statistik.

Das könnte man auch so interpretieren, dass der Raserartikel im Gesetz nichts nützt. Ein Raser lasse sich jedoch von strengen Gesetzen kaum abhalten, sagen Verkehrspsychologen seit Jahren. Doch Kontrollen aufgrund schärferer Gesetze könnten zu richtigem Fahrverhalten führen.

Diese Kontrollen führen zu Verurteilungen. Für die Betroffenen von Raserunfällen ist es wichtig, dass die Verursacher ihres Leids zur Rechenschaft gezogen werden. Die Geschädigten wollen nicht auch noch Opfer einer laschen Gesetzgebung werden.

So gesehen ist die heutige Aufweichung der Raserstrafnorm durch den Nationalrat ein Schlag ins Gesicht der Opfer. Siegerin ist die starke Autolobby. Für die grüne Nationalrätin Marionna Schlatter ist es klar «eine Machtdemonstration der Autolobby ohne Rücksicht auf Tote und Verletzte».

Ruth Wittwer

Bundeshaus-Korrespondentin

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Ruth Wittwer ist Bundeshaus-Korrespondentin von Radio SRF, seit 2017 gehört sie zur SRF-Inlandredaktion. Sie arbeitet seit vielen Jahren als Journalistin. Unter anderem sechs Jahre in den USA , davor bei Radio SRF 3 sowie Lokalradios und -zeitungen.

Echo der Zeit, 09.03.2022, 18:00 Uhr

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