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Reizwort Frühfranzösisch Droht dem Sprachenkompromiss das Aus?

Fünftklässler sind mit zwei Fremdsprachen überfordert. Diese Haltung des Thurgauer Parlaments könnte bald Schule machen. Eine Einschätzung der jüngsten Entwicklung im Fremdsprachen-Streit von Inlandredaktor Rafael von Matt.

SRF News: Was könnte der Thurgauer Entscheid in der Schweiz auslösen?

Rafael von Matt: Der Entscheid wird auf jeden Fall politische Wellen werfen. 2004 haben sich die Kantone auf den Sprachenkompromiss geeinigt, der den Unterricht in zwei Fremdsprachen an der Primarschule postuliert. Darunter muss zwingend eine Landessprache sein. Bisher halten sich 23 Kantone daran. Der Thurgauer Entscheid ist nun als Signal in etwa so zu deuten: Frühfranzösisch ist schon länger umstritten. Die Ostschweiz setzt eher auf Englisch, die Sprache der Wirtschaft. Das macht jenen Sorgen, die sich für den Zusammenhalt des Landes und den Austausch der Landesteile einsetzen. Insbesondere in der Westschweiz wird das negative Reaktionen auslösen.

Insbesondere in der Westschweiz wird das negative Reaktionen auslösen.
Autor: Rafael von Matt

Auch in anderen Kantonen gibt es Kritik an zwei Fremdsprachen in der Primarschule. Was heisst das jetzt für sie?

Jene Kräfte, die nur eine Fremdsprache an der Primarschule wollen, werden sich über das Thurgauer Signal freuen. So ganz besonders im Kanton Zürich, wo das Stimmvolk in zweieinhalb Wochen über eine entsprechende Volksinitiative entscheidet. Es wird den Initianten Aufwind geben. In den Kantonen Basel-Landschaft und Luzern stehen bereits ähnliche Initiativen vor der Abstimmung.

Bildungsminister Alain Berset hat einst ein entschlossenes Vorgehen angekündigt, falls der Sprachenkompromiss angetastet wird. Was wird tun?

Ich kann mir gut vorstellen, dass heute kein guter Tag für Bundesrat Alain Berset ist. Als Romand liegt ihm die Mehrsprachigkeit der Schweiz besonders am Herzen. Deshalb hat er sich auch stark engagiert und den Kantonen gedroht. Grundsätzlich ist die Bildung zwar Sache der Kantone, aber der Bund hat mit dem Volksentscheid von 2006 zur Harmonisierung der Bildung ein Instrument in der Hand. Bern kann demnach eingreifen, wenn die Kantone sich nicht an die Harmonisierung halten. Dieser Zeitpunkt ist nun eigentlich gekommen, falls der Entscheid im Thurgau definitiv wird.

Im Departement Berset hiess es heute, man warte jetzt vorerst ab, ob die Thurgauer Vorlage durchkommt, über die möglicherweise noch abgestimmt werden muss. Falls die Thurgauer Abkehr aber definitiv wird, könnte Berset wohl die Revision des Sprachengesetzes wieder aufgreifen. Hier möchte er festschreiben, dass zwingend eine zweite Landessprache als Fremdsprache auf Primarschulstufe unterrichtet werden muss. Am Ende könnte es eine nationale Volksabstimmung geben, weil das Parlament bisher eher ablehnend auf diese Idee reagiert hat.

Das Gespräch führte Isabelle Maissen.

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