Nicht Gölä, und auch nicht Gianna Nannini treten dieses Wochenende im Hallenstadion auf – sondern das religiöse Oberhaupt der tibetischen Buddhistinnen und Buddhisten: seine Heiligkeit, der 14. Dalai Lama. Er wird eine Zeremonie abhalten – auf Tibetisch. Die Veranstaltung ist fast ausverkauft. Warum er so viele Menschen anzieht und erneut die Schweiz besucht, das erklärt SRF-Religionsredaktorin Léa Burger.
Warum ist der 14. Dalai Lama in der Schweiz so ein Publikumsmagnet?
Die Schweiz hat die grösste tibetische Community ganz Europas. Laut dem Tibet-Institut Rikon leben bis zu 8000 Tibeterinnen und Tibeter hier. Doch sie allein füllen noch nicht das Stadion, in dem bis zu 15'000 Menschen Platz haben. Die Beliebtheit des 14. Dalai Lama liegt einerseits daran, dass er schon öfters hier war und den Leuten bekannt ist. Anderseits ist er unter den religiösen Würdenträgern so etwas wie ein Superstar. Mit seinen Lehren darüber, wie man gelassener und glücklicher werden kann oder ethische Werte lebt, spricht er bestimmt auch viele Menschen an, die weder tibetisch noch buddhistisch oder religiös sind.
Wieso hat die Schweiz die grösste tibetische Community Europas?
Das hat historische Gründe. Die Schweiz war das erste Land Europas, das tibetische Geflüchtete aufgenommen hat. Das war anfangs der 1960er Jahre, nachdem China in Tibet einmarschiert ist. Zu dieser Zeit gab es bereits Beziehungen von Schweizer Industriellen nach Tibet. Sie waren mit dem Dalai Lama im Gespräch, um Flüchtlingsfamilien aufzunehmen. Auch das Internationale Rote Kreuz (IKRK) und das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) spielten eine wichtige Rolle. Die tibetische Diasporagemeinschaft wuchs rasch. 1968 konnte das Tibet-Institut Rikon eingeweiht werden, ein klosterähnliches Zentrum für kulturelle und religiöse Angelegenheiten. So gab es viele Beziehungen zwischen der Schweiz und Tibet, nicht zuletzt auch ideelle: ein Bergvolk, das einem anderen Bergvolk hilft.
Besuche des Dalai Lamas in der Schweiz
Wie bedeutend ist der 14. Dalai Lama für die Exiltibeterinnen und -tibeter hier in der Schweiz?
Für sie ist er wohl die wichtigste Identifikationsfigur. Ob sie religiös sind oder nicht, spielt keine Rolle. Es ist der Bezug zum tibetischen Heimatland, in das viele aus politischen Gründen nicht mehr reisen wollen oder können. Insofern hat der 14. Dalai Lama auch eine verbindende Funktion für die verschiedensten Diasporagemeinschaften weltweit.
Der Zungenkuss-Vorfall sorgte für Aufsehen. Weshalb hat es ihm nicht geschadet?
Einerseits standen die meisten Tibeterinnen und Tibeter weiterhin hinter ihrem religiösen Oberhaupt, so auch die Exilregierung im indischen Dharamsala. Manche warfen westlichen Medien vor, einen zu sexualisierten Blick aufs Video zu haben und es in den falschen Kontext zu stellen: statt im kulturellen tibetischen Kontext in jenen der römisch-katholischen Kirche und ihrer Missbrauchskandale. Andererseits vermuten unterdessen viele, darunter auch westliche Akademikerinnen oder Journalisten, dass das Video für chinesische Propagandazwecke instrumentalisiert wurde. Darauf deutet etwa der zeitlich grosse Abstand zwischen der Entstehung des Videos und dem viralen Verbreiten davon.
Der 14. Dalai Lama ist bald 90 Jahre alt – ist es möglich, dass es sein letzter Besuch in der Schweiz ist?
Das kann schon sein. Früher ist er sehr viel gereist. Diese Reisen hat er reduziert. Es ist möglich, dass es einer der letzten oder vielleicht der letzte Besuch ist. Vielleicht gerade deshalb ist der Andrang ins Hallenstadion auch so gross.