Patrick Horisberger war früher aktiver Läufer, hat an Halbmarathons mitgemacht. Heute bereitet ihm das Laufen Mühe. Seine Sehnen schmerzen, und es ist gut möglich, dass das so bleibt. Der Grund, wie er glaubt: das Antibiotikum Levofloxacin, vom Arzt verschrieben wegen Verdacht auf eine Harnwegs-Infektion.
Schmerzen und Kribbeln nach der zweiten Pille
Schon nach etwa der zweiten Pille spürte der 44-Jährige Veränderungen in seinem Körper: Kribbeln im Gesicht und in den Händen, Taubheitserscheinungen. Dazu kamen Schmerzen im Bereich der Sehnen, Muskelschmerzen.
Erst nach der fünften, sechsten Tablette kam er aber überhaupt auf den Gedanken, dass das am Medikament liegen könnte. Also setzte er es ab. Die Symptome verschwanden aber nicht. Im Gegenteil: Plötzlich erlebte Horisberger Angstzustände und Panikattacken. Etwas, das er früher nie hatte.
Risiken sind Experten bekannt
Ein Arzt den er aufsuchte, meinte, dass die Nebenwirkungen wieder verschwinden würden. Dem war nicht so. «Ich habe dann selber im Internet nachgeschaut, woher die Nebenwirkungen wohl kommen könnten. So bin ich auf Fälle gestossen, die 1:1 identisch sind mit meinem», erzählt Horisberger. Für ihn ist der Kausalzusammenhang gegeben: «Vor diesen Tabletten war ich körperlich ein gesunder Mensch!»
Vor diesen Tabletten war ich körperlich ein gesunder Mensch.
Spezialisten sind die schweren Nebenwirkungen bekannt: «Unmittelbar gefährlichste Reaktionen können Leberschädigungen sein. Ein Medikament aus dieser Familie wurde deswegen auch wieder vom Markt genommen», sagt Andreas Widmer, Infektiologe am Unispital Basel.
Stephan Krähenbühl, Pharmakologe am Unispital Basel, ergänzt: «Manche unerwünschte Nebenwirkungen hat man erst herausgefunden, als die Medikamente bereits auf dem Markt waren. Etwa dass es zu Sehnenschäden oder Rissen führen kann, oder dass das zentrale Nervensystem betroffen sein kann.» Diese unerwünschten Nebenwirkungen seien bekannt.
Einsatz auch bei harmlosen Infekten
Sie stehen auch auf dem Beipackzettel, allerdings weit unten, als «seltene Nebenwirkung», gemeinsam mit vielen anderen potenziellen Begleiterscheinungen.
Im Spital werden die sogenannten Flurorchinolone denn auch nur bei lebensgefährlichen Infekten eingesetzt. «Dort sind sie auch nötig, denn wir haben oft nichts anderes», erklärt Andreas Widmer. Dass diese Antibiotika viel breitflächiger eingesetzt werden, auch bei verhältnismässig harmlosen Atemwegserkrankungen oder eben nicht lebensgefährlichen Harnwegsinfekten, findet er nicht in Ordnung: «Dann schiesst man am Ziel vorbei.»
Wie bei Patrick Horrisberger: «Ich habe das Medikament auf einen Verdacht hin bekommen, der sich nicht bestätigt hat.» Dass er das Medikament gar nicht hätte verschrieben bekommen sollen, macht ihn wütend.
1400 registrierte Meldungen in der Schweiz
In der Schweiz werden unerwünschte Arzneiwirkungen von der Heilmittelbehörde Swissmedic erfasst. Ärzte und Patienten können Meldungen einreichen. Das Register ist aber im Gegensatz etwa zu Deutschland oder Europa nicht öffentlich.
«Puls» hat nachgefragt: 1400 Fälle wurden bei Swissmedic seit der Einführung der Meldemöglichkeit vor 27 Jahren registriert. In Europa sind für diese Antibiotika-Kategorie zehntausende Fälle aufgelistet.
Blackbox-Warnung in den USA
In den USA hat die Gesundheitsbehörde FDA 2016 eine Warnung vor der Antibiotika-Klasse herausgegeben. Eine sogenannte Black-Box-Warnung, die unübersehbar auf die seltenen, aber massiven Nebenwirkungen hinweist. In den Vereinigten Staaten wurden die Hersteller vor einigen Jahren auch schon wegen der eingetretenen Nebenwirkungen verklagt.
Dennoch hat sich in der Schweiz bis letztes Jahr nichts getan. Keine Überprüfung der Warnhinweise, kein Verbot des Medikaments. Der Grund, so Rudolf Stoller, Experte der Abteilung Arzneimittelsicherheit: «Wir haben in der Schweiz keine Hinweise, dass solch schwere Verläufe häufiger auftreten.»
Wir haben in der Schweiz keine Hinweise, dass solch schwere Verläufe häufiger auftreten.
Trotzdem will Swissmedic nun reagieren und ist inzwischen in Kontakt mit den Herstellerfirmen, um die Informationen in den Beipackzetteln anzupassen. «In diesem Zusammenhang braucht es dann wahrscheinlich auch stärkere Informationsmassnahmen, sprich ein Rundschreiben an die Ärzte und Inserate zum Beispiel in der Ärztezeitung», sagt Stoller.
Die Patienten stärker zu warnen, wie in den USA, ist aber nicht geplant.
Patrick Horrisberger hat sich inzwischen nach dem Muster von Patienten in Deutschland mit anderen Betroffenen zusammengeschlossen. Sein Fazit: «Das Medikament hat sicher seine Berechtigung, weil es auch Leben rettet. Aber nur in diesen Fällen soll es eingesetzt werden. Die Risiken sind sonst einfach zu gross.»