Zu Beginn des Ukraine-Kriegs hat Aussenminister Ignazio Cassis einen etwas holprigen Auftritt. Der Gesamtbundesrat zögert, die EU-Sanktionen gegen Russland vollständig zu übernehmen. Nach ein paar Tagen zieht der Bundesrat dann doch mit. Aber Justizministerin Karin Keller-Sutter hat sich schon einen Tag früher klar positioniert: «Persönlich» befürworte sie schärfere Massnahmen gegen Russland.
Keller-Sutter ist auch anfangs April vorgeprescht, als sie im Zusammenhang mit den Gräueltaten der russischen Armee in Butscha von «Kriegsverbrechen» spricht. Der Bundespräsident hat die Taten zuvor zwar auch verurteilt, aber in verharmlosender Wortwahl von «Geschehnissen» gesprochen. Politikerinnen und Beobachter sehen hier Zeichen einer Rivalität, die sich bereits früher gezeigt hat. Besonders in der Europapolitik.
«Es ist bekannt, dass es einen Konkurrenzkampf gibt zwischen den beiden», sagt die GLP-Nationalrätin Tiana Moser. Die Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter glaubt, dass das Rahmenabkommen auch deswegen gescheitert ist. «Ich bin überzeugt, wenn sich die Bundesräte einig gewesen wären, hätten sie es auch geschafft, im Bundesrat eine Mehrheit hinzubekommen und das Projekt zum Fliegen zu bringen.»
Sorge um Wiederwahl
Auch dem Politologie-Professor Adrian Vatter ist der Konkurrenzkampf aufgefallen. Die Sorge um die Wiederwahl 2023 spiele sicher eine Rolle, sagt Vatter. Auch persönlich scheine es zwischen den beiden nicht recht zu funktionieren. «Man hat den Eindruck, dass sie nicht einen so engen Draht haben zueinander. Und politisch versuchen sie, in die Dossiers des anderen reinzureden.» In der Europapolitik genauso wie jetzt im Ukrainekonflikt.
Vatter hat für sein Buch «Der Bundesrat» eine Typologie der Bundesratsmitglieder entwickelt. «Karin Keller-Sutter ist jemand mit einem starken Gestaltungswillen, sie ist machtbewusst. Insofern ist sie eine Regentin.» Sie könne aber auch Allianzen schmieden, Kompromisse eingehen – typische Merkmale einer Konkordanzpolitikerin. Cassis sei schwerer zu fassen. «Er hat einerseits Merkmale eines Intellektuellen, als Arzt hat er einen naturwissenschaftlichen Zugang.» Auf der anderen Seite fehle es Cassis an politischem Instinkt – er habe Eigenschaften eines «Bürdenträgers», sagt Vatter.
«Schlecht fürs Land»
Unterschiedliche Typen wie Karin Keller-Sutter oder Ignazio Cassis: für Nationalrat Eric Nussbaumer (SP/BL) kein Problem. «Der entscheidende Punkt ist, dass sie miteinander ein Ergebnis liefern. Und wenn Sie mich konkret im Europadossier fragen, da liefern sie einfach nicht. Das ist schlecht fürs Land.»
Wann wird Konkurrenz, Uneinigkeit im Bundesrat für Adrian Vatter zum Problem? Konstellationen wie jene der FDP-Bundesräte seien für das Funktionieren der Landesregierung nicht ideal. «Es braucht Vertrauen, es braucht eine gewisse Kompromissfähigkeit, es braucht auch mal die Situation, dass man zurückstehen kann.» Nur so könne ein Gremium funktionieren, in dem es eben keine hierarchische Leitung gebe.