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Rote Zahlen bei Gemeinden Babyboomer-Agglo kommt mit Überalterung unter Finanzdruck

Steigende Kosten für Alters- und Pflegeheime sowie Spitex bescheren Baselbieter Gemeinden tiefrote Zahlen. Das ist landesweit ein Thema.

Im Basler Speckgürtel brechen magere Jahre an: Grosse Gemeinden sind tief in die roten Zahlen gekippt; so hat etwa Muttenz 2024 ein Defizit von 7.6 Millionen Franken eingefahren, Reinach eines von 3.6 Millionen Franken. Ein wesentlicher Faktor sind markant gestiegene Ausgaben für Alters- und Pflegeheime.

Das liegt an der Demografie: Die Babyboomer-Generation liess in den 1960er- und 1970er-Jahren rund um Basel und andere Städte Steuereinnahmen sprudeln, als sie Familien gründeten und Wohneigentum erwarben. Jetzt kommen sie ins Alter und mit schwindender Gesundheit ins Heim.

Altersforscher: Kosten steigen markant

Vor allem Agglomerationsgemeinden erleben diese Alterung, erklärt Altersforscher François Höpflinger, früherer Professor an der Universität Zürich. «Man rechnet mit beträchtlich ansteigenden Spitex- und Heimkosten in allen Regionen der Schweiz in den nächsten 10 bis 15 Jahren.»

Auf die Dauer können wir das nicht stemmen.
Autor: Franziska Stadelmann Gemeindepräsidentin von Muttenz BL

Für Muttenz wird das schwierig, sagt Gemeindepräsidentin Franziska Stadelmann: «Auf die Dauer können wir das nicht stemmen.» Das gehe ans Eingemachte der Gemeinde. «Es macht uns grosse Sorgen.»

Rollatoren im Heim
Legende: Die meisten Menschen wollen so lange wie möglich zu Hause leben, bevor sie ins Alters- und Pflegeheim ziehen müssen. (Symbolbild) Keystone / Christian Beutler

Menschen wollen möglichst lange im vertrauten Daheim bleiben. Manchmal lasse das die Wohnsituation nicht zu, sagt der Reinacher Gemeinderat Peter Meier: Wenn jemand aus dem Spital nach Hause dürfte, aber angeschlagen ist, scheitere das teils am fehlenden Lift. «Dann ist die einzige Möglichkeit, dass er ins Seniorenzentrum überwiesen wird, obwohl er dafür nicht in der entsprechenden Pflegestufe ist.»

Die Gemeinde Reinach will darum die Gesundheitsförderung ausbauen und weitere altersgerechte Wohnungen bauen. Diesen Ansatz begrüsst Claudia Kratochvil-Hametner, Direktorin des Schweizerischen Gemeindeverbandes SGV – allerdings müssten Gemeinden Wohnraum und Geld dafür haben.

Vermögensverzehr wird zum Thema

Der Kanton Baselland zielt derweil aufs Ersparte: Wer Vermögen hat, soll sich künftig mehr an seinen Altersheimkosten beteiligen müssen. Der Baselbieter Gemeindeverband unterstützt diese Stossrichtung. Andernorts in der Schweiz wurden wegen Alterskosten schon die Steuern erhöht, weiss der SGV.

Ringen um Finanzierungsebenen

Box aufklappen Box zuklappen

Bei der Altersversorgung gibt das Bundesrecht vieles vor, doch die Kantone nutzen ihren Spielraum unterschiedlich. Der Schweizerische Gemeindeverband weist darauf hin, dass die Ergänzungsleistungen (EL) ein Knackpunkt sind.

«EL sind für viele Gemeinden ein massiver Kostenfaktor», sagt Verbandsdirektorin Claudia Kratochvil-Hametner. In elf Kantonen vor allem in der Deutschschweiz finanzierten die Gemeinden die EL wesentlich mit. Unter dem Strich bezahlten Gemeinden in der Schweiz rund einen Viertel aller EL-Ausgaben – das weise die Bundesstatistik aber nur im Kleingedruckten aus.

Neben den EL-Kosten tragen die Gemeinden die Betreuungskosten ihrer Bevölkerung mit, etwa für Spitex. Es sei Konsens, dass Menschen so lange wie möglich daheim leben können sollten, sagt Kratochvil, was auch insgesamt günstiger sei. Da Betreuungsleistungen heute nicht von den EL abgedeckt würden, müssten viele Personen, die auf EL angewiesen sind, vorzeitig in ein Alters- und Pflegeheim zügeln – trotz niedriger Pflegestufe.

Der Bundesrat wolle künftig die Finanzierung der Betreuungsleistungen Wohnort-unabhängig über EL regeln. Leider sehe er dabei vor, die Finanzierung den Kantonen und Gemeinden zu überlassen.

Kleinere Gemeinden können sich gar keine eigenen Heime leisten. Im Baselbiet schreibt darum kantonales Recht Versorgungsverbünde vor. In solchen sind Unterschiede und Animositäten zu überwinden und die Finanzierung gemeinsamer Heime aufzugleisen. Das kann dauern.

Oft verlieren jene, die in ein Heim in einer anderen Gemeinde ziehen müssen, einen Teil ihres sozialen Umfeldes. Kratochvil weist zudem darauf hin, dass an Standortgemeinden Mehrkosten hängen blieben, auch wenn man heute in der Gemeinde mit dem Altersheim Wohnsitz nehmen und Steuern zahlen müsse. Letzteres will übrigens ein Vorstoss im Bundesparlament ändern.

Pensionär mit Rollator
Legende: Wegen steigender Kosten sind neue Finanzierungswege gefragt. (Symbolbild) Keystone / Christian Beutler

Für die SGV-Direktorin ist zielführend, wenn Gemeinden Heime gemeinsam planen und weitere Leistungserbringer wie die Spitex integrieren; das geschehe auch zunehmend. Idealerweise würde indes die ganze Gesundheitsversorgung noch viel breiter integriert und interdisziplinär organisiert, mit allen Leistungserbringern.

Gemeindefusionen sind nicht zu vermeiden.
Autor: François Höpflinger Altersforscher, em. Professor Uni Zürich

Das politische Tempo dürfte auch bei der Altersversorgung vom Leidensdruck abhängen. Gemäss Höpflinger droht manchen Gemeinden in einigen Kantonen schlicht das Aus: «Kleingemeinden werden durch die Alterskosten so überfordert, dass Gemeindefusionen gar nicht zu vermeiden sind.»

Regional Diagonal, 10.5.2025, 16:30 Uhr ; 

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