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Rückläufige Asylzahlen «Die Migranten reagieren sehr rasch auf politische Entwicklungen»

Weniger Asylgesuche, höhere Kosten: Bundeshausredaktor Dominik Meier zum Status quo im Schweizer Flüchtlingswesen.

SRF News: Hat der deutliche Rückgang der Asylgesuche etwas mit der geschlossenen Balkanroute zu tun? Oder ist die Schweiz einfach nicht mehr attraktiv genug für Asylbewerber und Flüchtlinge?

Dominik Meier

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Dominik Meier ist seit 2008 als Inlandredaktor bei SRF tätig. Er gehört zum Bundeshaus-Team von Radio SRF.

Dominik Meier: Die Schliessung der Balkanroute ist ein Hauptgrund für den Rückgang. Vorher kamen vor allem Syrer und Afghanen über diesen Weg nach Europa. Seit der Schliessung der Route hat sich die Zahl ihrer Asylgesuche in der Schweiz halbiert. Der zweite Grund für den Rückgang liegt bei den Eritreern: Sie kommen über Libyen und Italien nach Europa. Letztes Jahr traten deutlich weniger Eritreer diese gefährliche Reise überhaupt erst an. Diejenigen, die kamen, zog es vermehrt nach Deutschland statt in die Schweiz.

Warum ist denn die Schweiz plötzlich weniger attraktiv als etwa Deutschland?

Das hat unter anderem mit dem Dublin-Abkommen zu tun. Italien registriert die Ankömmlinge seit neuem fast lückenlos. Deshalb kann sie die Schweiz seit ein paar Monaten wieder zurück nach Italien schicken. Deutschland macht das deutlich weniger konsequent, weil die dortigen Behörden durch den Ansturm von Asylsuchenden überlastet sind. Ein Eritreer hat mir heute am Telefon gesagt: Wer nicht Familie in der Schweiz hat, versucht heutzutage durch die Schweiz durchzureisen – möglichst Richtung Deutschland.

Die Migranten und Schlepper reagieren sehr rasch und flexibel auf neue politische Entwicklungen in Europa.

Es kommen also weniger Asylbewerber und Flüchtlinge in unser Land. Trotzdem steigen die Kosten im Asylbereich. Wie kommt das?

Eine Flüchtlingsfamilie in einer Einrichtung bei Villars-sur-Ollon.
Legende: Deutlich unter den Prognosen: Trotz der globalen Krisenherde waren die Asylzahlen 2016 stark rückläufig. Keystone

Es kommen immer noch deutlich mehr Menschen in die Schweiz als in den Nuller-Jahren. Dazu kommt: Heute kann gut die Hälfte der Ankömmlinge mindestens vorübergehend in der Schweiz bleiben. Das treibt die Kosten in die Höhe. Und nur eine Minderheit der Flüchtlinge und der vorläufig Aufgenommenen findet in den ersten Jahren eine Arbeit. Solange sich das nicht ändert – mit besseren Ausbildungslehrgängen oder mehr Anreizen oder auch Druck – steigen wegen der hohen «Bleibequote» die Kosten für die Sozialhilfe.

Das Staatssekretariat für Migration macht jeweils nach dem Rückblick auch den Ausblick: Ist abzuschätzen, ob die Asylzahlen wieder steigen oder erneut sinken werden?

Der Bund erwartet für das laufende Jahr einen leichten Rückgang auf rund 25'000 Asylgesuche. Das ist aber wenig aussagekräftig. Niemand weiss, was dieses Jahr tatsächlich bringt: Hält das Flüchtlingsabkommen zwischen der Türkei und der EU? Welche politischen Signale setzt Deutschland im Wahljahr – sind es solche der Abschreckung? Eines haben die letzten Jahre gezeigt: Die Migranten und Schlepper reagieren sehr rasch und flexibel auf neue politische Entwicklungen in Europa.

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