- In der Romandie sind mehrere Vorstösse für eine obligatorische Zahnversicherung hängig.
- Mitte Jahr kommt eine Initiative im Kanton Waadt zur Abstimmung. Diese will ein Lohnprozent in eine Zahnversicherung umleiten.
- Die Regierung bekämpft die Initiative mit einem Gegenvorschlag: Die Hälfte der Kosten soll mit einer Steuer auf Süssgetränke gedeckt werden.
- Gesundheitsökonom Willy Oggier ist grundsätzlich gegen die obligatorische Zahnversicherung. Er appelliert an die Eigenverantwortung.
Für viele Menschen ist ein Termin beim Zahnarzt ein traumatisches Erlebnis. Doch nicht nur Zartbesaitete schieben ihn oft auf die lange Bank. Denn auch der Griff ins Portemonnaie ist nach einem Zahnarztbesuch schmerzhaft.
Die Folgen des Abwartens können fatal sein: Unbehandelte Zahnerkrankungen können sich vom Wehwehchen zur chronischen Erkrankung auswachsen. Doch nur selten wird die Rechnung von der Krankenkasse übernommen.
Diskussion um obligatorische Zahnversicherung
Nun fordern linke Parteien und Gewerkschaften in der Romandie: Die Zahnversicherung soll wieder obligatorisch sein. Derzeit sind diverse kantonale Initiativen und Vorstösse in der politischen Pipeline.
Die Kette von Ursache und Wirkung ist bei vielen anderen Erkrankungen bei weitem nicht so klar.
In der Waadt wird die Stimmbevölkerung in diesem Jahr über eine kantonale Initiative befinden, die jeweils ein Lohnprozent in die Versicherung umleiten will. Eine AHV für die Zähne sozusagen.
Die Waadtländer Regierung aber scheut die Kosten und stellt einen Gegenvorschlag vor. Sie will die Zahnversicherung mit einer Süssgetränkesteuer finanzieren (siehe Box).
Für Gesundheitsökonom Willy Oggier gehen die Vorstösse jedoch in die falsche Richtung: «Die schweizerische Zahnversorgung basiert auf dem Grundsatz, dass man über Eigenverantwortung und zielgerichtete Prävention möglichst prophylaktisch tätig ist, um insbesondere Karies zu verhindern.»
Löcher in den Zähnen – selber schuld?
Heisst: Zahnpflege liegt in der Eigenverantwortung – und die Folgen liederlichen Zähneputzens sollen Herr und Frau Schweizer selbst berappen. Ganz im Gegensatz zu unseren Nachbarn, etwa in Deutschland oder Österreich, wo Zahnbehandlungen von der Krankenkasse gedeckt sind.
Ein solches «Giesskannenprinzip» widerspreche aber der Entwicklung in der Schweiz, meint Oggier. Auch, weil Zahnprobleme nicht alle in gleichem Ausmass beträfen: «In den letzten Jahren konnten wir etwa bei Kindern im Vorschulalter zunehmend Karies feststellen, insbesondere bei bestimmten Migrantengruppen.»
Manche Zahnerkrankung mag selbst verschuldet sein. Das trifft jedoch auch auf Folgeerkrankungen des Rauchens oder schlechter Ernährung zu. Die Zahnpflege bleibt für Gesundheitsökonom Oggier aber ein Sonderfall: «Die Kette von Ursache und Wirkung ist bei vielen anderen Erkrankungen bei weitem nicht so klar, wie etwa bei der Verhinderung von Karies.»
Wenn der Zahnarztbesuch zum Luxus wird
Doch die Waadtländer Initianten wittern auch soziale Ungerechtigkeit im bestehenden System. Sie monieren, dass Menschen mit wenig Geld den Zahnartbesuch meiden.
Die Westschweiz hat in gesundheitspolitischen Fragen immer schon etatistischer abgestimmt.
Auch dieses Argument lässt Oggier nicht gelten: «In der Grundversicherung muss man jedes Jahr mindestens die ersten 300 Franken selber bezahlen, viele Leute haben auch höhere Franchisen.» So betrachtet, greife das Argument ins Leere: «Die erste Rechnung muss man ohnehin selbst bezahlen.»
Gesundheitspolitischer Röstigraben
Bundespolitisch sind Vorstösse für eine obligatorische Zahnversicherung bisher gescheitert. In der Romandie lebt die Idee hartnäckig weiter. Wer den Romands gesundheitspolitisch auf den Zahn fühlt, merkt: Sie ticken anders.
«Die Westschweiz hat in diesen Fragen immer schon etatistischer abgestimmt», sagt Oggier. Ein Beispiel: Die Westschweizer Kantone haben vor drei Jahren, im Gegensatz zu den Deutschschweizern, die Volksinitiative für eine öffentliche Krankenkasse angenommen.
An eine Signalwirkung der Westschweizer Zahnoffensive für die Deutschschweiz glaubt Oggier jedoch nicht: «Die Diskussion in der Romandie ist aber eine Chance, die grossen Vorteile der zahnmedizinischen Versorgung in der Schweiz darzustellen.»