Eine Primarlehrerin verteilt Ohrfeigen im Unterricht und zerrt Schülerinnen und Schüler an den Haaren: Es waren happige Vorwürfe, die im Sommer in der Nidwaldner Gemeinde Beckenried bekannt wurden. Die beschuldigte Lehrerin bestritt die Vorkommnisse – dennoch stellte die Schule sie frei und reichte Strafanzeige gegen sie ein. Gleichzeitig beauftragte die Gemeinde Bildungswissenschaftler Anton Strittmatter mit einer Untersuchung.
Der Bericht dazu liegt nun vor – und Strittmatter hält darin fest: Hinweise auf Ohrfeigen und andere Tätlichkeiten hat er keine gefunden. Allerdings habe es sehr wohl Vorkommnisse gegeben, die «nicht hinnehmbar» seien.
«Schüler fühlten sich verängstigt und gedemütigt»
So hätten Schüler bei Vergehen Liegestützen machen oder beim Schaukeln mit dem Stuhl dem Unterricht für eine gewisse Zeit stehend oder kniend folgen müssen. «Das Strafrepertoire für Schüler, die den Unterricht störten, erscheint eher altmodisch», sagt Bildungswissenschaftler Strittmatter. «Andere Lehrpersonen kommen da mit vernünftigeren Strafen aus.»
Problematisch sei auch gewesen, dass viele Kinder unter dem Unterrichtsstil der Lehrerin gelitten hätten. «Ein nicht kleiner Teil fühlte sich verängstigt, schikaniert oder gedemütigt von der Art, wie die Lehrerin ihre Klasse führte oder jemandem mitteilte, dass es für den Übertritt ins Gymnasium nicht reichte», sagt Strittmatter.
Dennoch: Kündigung wäre missbräuchlich
Dennoch spricht sich der Bildungswissenschaftler dafür aus, die Lehrerin weiterhin zu beschäftigten – wenn auch nicht mehr als Klassen-, sondern als Fachlehrerin. «Eine Kündigung wäre missbräuchlich, denn die Lehrerin wurde von der Schulleitung wegen ihrer Vergehen nie angemahnt», sagt er.
Zudem sehe er die Möglichkeit, dass sich die Lehrerin anders verhalte, wenn sie nicht mehr die Funktion einer Klassenlehrerin ausübe und der damit verbundene Druck wegen des Übertritts in die Oberstufe wegfalle. Sie sei eine erfahrene, engagierte Lehrerin – und habe keineswegs bei allen Kindern und Eltern so stark polarisiert.
Kritik auch an die Adresse der Schule und des Kantons
Der Bericht zu den Vorfällen in Beckenried erhebt aber auch Vorwürfe gegen die Schulleitung – diese habe nicht versucht, den aufkeimenden Konflikt zwischen der Lehrerin und einzelnen Eltern zu entschärfen. Dies habe mitgeholfen, die Situation eskalieren zu lassen.
Problematisch sei zudem, dass es beim Kanton Nidwalden keine Stelle gebe, an die sich die Schule hätte wenden können. «Früher wäre der kantonale Schulinspektor aufgetaucht», sagt Anton Strittmatter. «Er hätte alle Parteien an einen Tisch geholt, und gemeinsam hätte man eine Lösung gefunden.»
Das Schulinspektorat wurde jedoch abgeschafft, ebenso die externe Schulevaluation. Damit gibt es keine kantonale Stelle mehr, die in den Schulen der Gemeinden intervenieren könnte. Auf Strittmatters Empfehlung hin will sich die Gemeinde Beckenried nun beim Kanton dafür einsetzen, dass eine neue Anlaufstelle geschaffen wird. Damit Schwierigkeiten an den Schulen schneller erkannt werden – und nicht mehr auf diese Weise eskalieren.