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Schutz von Whistleblowern Die Wirtschaft hat Vorrang

Rund um den Globus treten ab dem 1. Juli neue Gesetze zum Schutz von Whistleblowern in Kraft: Und in der Schweiz? Nichts dergleichen. Das Wort «Whistleblower» wird auch in Zukunft in Schweizer Gesetzestexten nicht zu finden sein.

Unheilige Allianz zwischen links und rechts

Dass die Schweiz in Sachen Whistleblowing eine Insel bleibt, ist der Uneinigkeit der Politiker zu verdanken. Der Nationalrat bereitete heute den Gesetzes-Vorschlägen des Bundesrates ein «schickliches Begräbnis», wie es die SP-Nationalrätin Min Li Marti bezeichnete. Aus Sicht von Angestellten tatsächlich ein Trauerspiel: Obwohl seit 2003 Vorstösse zum Schutz von Hinweisgebern im Parlament kursieren, ist vier JustizministerInnen später noch immer kein Gesetz in Kraft. Obwohl sich alle ausser der SVP einig sind, dass es entsprechende Regeln brauche.

Doch die Politiker verlieren Zeit mit ideologischen Grabenkämpfen. Linke wie Rechte bezeichneten die Vorschläge des Bundesrates heute als zu kompliziert, als zu unverständlich.

Wirtschaft überholt Politik

Leidtragende sind die Allgemeinheit und der Rechtsstaat. Denn müssen Angestellte um ihren Job und ihre Existenz fürchten, wenn sie Missstände melden, bleiben Korruption und Wirtschaftsverbrechen wohl leichter unter dem Deckel.

Mittlerweile scheint fraglich, ob die wirtschaftsfreundliche Schweiz überhaupt je einmal einen Schutz für Whistleblower – ähnlich wie in allen ihren Nachbarländern – zustande bringen wird. Denn inzwischen – so argumentieren Gegner – habe die Wirtschaft die Politik überholt: Laut einer Studie der HTW Chur haben heute über 65% aller Schweizer Firmen eine interne Anlaufstelle für Whistleblower.

Die Firmen haben offenbar längst erkannt, dass sie so manch ruinösen Skandal und teures Gerichtsverfahren abwenden können, wenn sie sich eine günstige Meldestelle leisten.

Die Gegner freuts: Ein Whistleblowing-Gesetz sei deshalb gar nicht mehr nötig. Die meisten Firmen garantieren dank einem externen Software-Anbieter und Verschlüsselung sogar, dass der Meldungsmacher anonym bleibt. Allerdings: Dass eine Meldestelle vorhanden ist, heisst laut Kritikern noch lange nicht, dass diese auch funktioniert und die Firma den gemeldeten Fällen intern rigoros nach geht. Bei internen Meldestellen besteht die Gefahr von Vertuschung. Denn den Angestellten droht noch immer eine Kündigung und ein happiges Rechtsverfahren, wenn sie sich an Behörden oder Medien wenden.

Nächste Chance: Ständerat

Mit der heutigen Ablehnung der bundesrätlichen Vorschläge erhält der Whistleblower-Schutz eine weitere Kopfnuss. Gut möglich, dass der Ständerat in einer nächsten Session das quasi tote Whistleblower-Gesetz nochmals aus dem Grab hebt.

Denn spätestens beim nächsten Skandal werden die Rufe der Öffentlichkeit nach einem schärferen Gesetz wieder laut werden. Lehnt der Ständerat die Vorschläge des Bundesrates aber ebenfalls ab, ist der Schutz von Whistleblowern in der Schweiz vorerst gestorben – zum Leid der Angestellten.

André Ruch

Bundeshaus-Redaktor, SRF

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Reporter André Ruch arbeitet seit 2008 für verschiedene SRF-Sendungen. Etwa als Redaktor und Produzent bei der Gesundheitssendung «Puls», als Reporter bei «10vor10» und seit 2018 als Bundeshaus-Redaktor in Bern.

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