Immer wieder haben in den letzten Jahren Fälle von häuslicher Gewalt die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Seither versuchen die Behörden, Wege zu finden, um solche Taten zu verhindern. Ein Weg, den verschiedene Kantone beschreiten, ist eine Meldepflicht für Ärzte.
Fälle von schweren Körperverletzungen müssten Ärztinnen und Ärzte künftig den Strafverfolgungsbehörden melden, sagt Regula Meschberger. Als Präsidentin der Baselbieter Gesundheitskommission setzt sie sich im Kantonsparlament für eine Gesetzesrevision ein: «Es geht um Meldungen, bei denen ein Arzt das Gefühl hat, der Patient sei gefährdet. Auch in Fällen, wo eine schwere Körperverletzung vorliegt und wo die Ursache unklar ist.»
Ärzte behalten Ermessensspielraum
Nicht nur im Baselbiet laufen entsprechende Gesetzesänderungen: auch in den Kantonen Genf, Waadt, Wallis und Schwyz. Damit wollen die Kantone die Abläufe vereinfachen: Denn heute muss sich ein Arzt zuerst von der Schweigepflicht entbinden lassen, bevor er den Behörden melden kann, dass etwa ein Kind missbraucht wurde.
Doch die Meldepflicht soll im Kanton Basellandschaft nicht absolut gelten: Die Ärzte behalten einen Ermessensspielraum. Sie können entscheiden, «ob in einem Einzelfall zugewartet werden soll, weil es die Situation erfordert und für das Kind momentan die bessere Lösung ist.»
Ärzte befürchten fehlendes Vertrauen
Trotzdem: gegen die Meldepflicht gibt es Widerstand von der Seite der Ärzte. Sie schwäche das Vertrauensverhältnis: Wer befürchten müsse, dass seine persönlichen Umstände an die Staatsanwaltschaft weitergegeben würden, der gehe möglicherweise gar nicht mehr zum Arzt.
Die Schwächung des Arztgeheimnisses sorgt für Unsicherheit.
Im Fall von häuslicher Gewalt könne das kontraproduktiv sein, sagt Jürg Schlup, Präsident der Ärztevereinigung FMH: «Die Schwächung des Arztgeheimnisses sorgt für Unsicherheit.»
«Patient muss Arzt vertrauen können»
Statt für Unsicherheit macht sich Schlup für das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stark. Gerade wenn ein Arzt einen Straftäter betreue, sei das Vertrauen zentral – auch für die öffentliche Sicherheit. Denn wenn der betreute Häftling dem Arzt nicht vertraue, dann gebe er dem Arzt auch keine wichtigen Informationen mehr. Der Arzt könne den Straftäter dann weniger genau einschätzen, was die Gefahr von Rückfällen erhöhe.
Auch Ausnahmen von der Meldepflicht – wie im Basler Modell, lehnen die Ärzte ab: «Eine Pflicht bleibt eine Pflicht, auch wenn es Ausnahmen gibt.»
Gesetz als Vereinfachung für Ärzte gedacht
Diese kategorische Haltung versteht Flavia Frei von der Stiftung Kinderschutz Schweiz nicht. Auch sie ist skeptisch gegenüber einer absoluten Meldepflicht für die Ärztinnen und Ärzte, jedoch offen für eine flexible Lösung: «Es ist eine Verbesserung. Das Ziel dieser Gesetzesänderung ist die Vereinfachung der Meldung für die Ärzte und erlaubt auch Ausnahmen. Sie müssen nicht zwingend etwas melden.»
Definitiv zu weit geht der Stiftung Kinderschutz und den Ärzten die geplante Gesetzesänderung im Kanton Schwyz: Diese sieht für Ärzte eine Meldepflicht ohne Ausnahmen vor. Die Ärzte sind im Dilemma: Sie sollen stärker mithelfen, Verbrechen zu verhindern, dabei aber nicht das Vertrauen ihrer Patienten verlieren. Das Abwägen zwischen Schweigepflicht und Meldepflicht bleibt ein Drahtseilakt.