Die Anti-Folter-Kommission verteilt den Untersuchungsgefängnissen in der Schweiz schlechte Noten. Der Vollzug der U-Haft sei vielerorts nicht konform mit den Grundrechten, heisst es im fünften Tätigkeitsbericht der Kommission. Dies hätten Besuche in verschiedenen Gefängnissen gezeigt.
Im vergangenen Jahr überprüfte die Anti-Folter-Kommission sieben Untersuchungsgefängnisse in den Kantonen Basel-Stadt, Bern, Nidwalden, St. Gallen, Zürich und Waadt. Auslöser dafür seien Berichte gewesen, wonach die U-Haft in der Schweiz übermässig restriktiv sei.
Mehr als 20 Stunden am Tag eingeschlossen
Diesen Eindruck bestätigten nun die Besuche der Kommission. Als unverhältnismässig bezeichnete sie namentlich die in den meisten Einrichtungen übermässig langen Einschlusszeiten von über zwanzig Stunden am Tag. Auch die Möglichkeiten, sich sportlich zu betätigen oder einer Beschäftigung nachzugehen, blieben vielen U-Häftlingen verwehrt.
Weiteren Handlungsbedarf gebe es bei den Regelungen zum Empfang von Familienbesuchen und zum Telefonzugang. Das Verhängen von generellen Besuchsverboten sei «kaum verhältnismässig». Das Recht auf Privat- und Familienleben sei auch in U-Haft gebührend zu berücksichtigen.
Eigentlich gilt die Unschuldsvermutung
Aus Sicht der Kommission trägt die aktuelle Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs in manchen Bereichen der Unschuldsvermutung nur unzureichend Rechnung. Vielerorts werde nicht unterschieden zwischen U-Häftlingen und Personen im eigentlichen Strafvollzug.
Störend sei überdies, dass der Untersuchungshaftvollzug schweizweit keiner einheitlichen Regelung unterliege. Die Anti-Folter-Kommission empfiehlt, schweizweit gültige Richtlinien für den Vollzug der Untersuchungshaft zu erlassen, welche der besonderen Rechtsstellung von Personen in Untersuchungshaft angemessen Rechnung tragen.
Bund soll Mindeststandards erlassen
«Die Untersuchungshaft ist das strengste Regime, das die Schweiz im Freiheitsentzug hat», sagt Strafvollzugsexperte Benjamin F. Brägger. Er müsse die im Bericht der Anti-Folter-Kommission gemachten Vorwürfe «leider» bestätigen.
Zwar gehe es zu Beginn eines Untersuchungsverfahrens tatsächlich darum zu verhindern, dass sich der Verdächtige mit anderen Personen absprechen könne. Insofern müssten U-Häftlinge auch abgeschottet werden. «Andererseits sind das formell unschuldige Personen, die auch gewisse Rechte haben», betont Brägger. Laut Europäischer Menschenrechtskonvention müssten Menschen auch in Haft als Menschen behandelt werden.
Wie die Antil-Folter-Kommission schlägt auch Brägger vor, dass der Bund Mindeststandards für die Untersuchungshaft in den Kantonen festlegen sollte. Sein Vorschlag: Der Bund soll die U-Haftanstalten mitfinanzieren: Dann könnte der Bund Mindeststandards vorschreiben, damit die Subventionen fliessen. Bisher sind die Kantone allein für Finanzierung und Betrieb der U-Haftanstalten zuständig.