Immer mehr Flüchtlinge versuchen mit einer waghalsigen Fahrt über das Mittelmeer nach Europa und auch in die Schweiz zu kommen. Und viele Menschen kommen, um zu bleiben: Letztes Jahr wurden mehr als die Hälfte aller Asylsuchenden vorläufig in der Schweiz aufgenommen. Ist es sinnvoll, diese Leute in der Schweiz zu integrieren bevor klar ist, ob sie bleiben dürfen?
Als Flüchtling in der Schweiz angekommen:
Für Susanne Hochuli , Regierungsrätin der Grünen im Kanton Aargau, wäre es in der Situation einer Asylsuchenden ein zentraler Wunsch, in dieser neuen Umgebung und Gesellschaft integriert zu sein, und ein normales Leben führen zu können.
Als Flüchtling würde auch Nationalrat Lukas Reimann (SVP/SG) dankbar für den erhaltenen Schutz sein. Aber vorher würde er im Herkunftsland für bessere Verhältnisse kämpfen, statt in einem anderen Land auf Kosten dieser Leute ein schöneres Leben zu haben.
Die Realität werde für Asylsuchende «relative schnell relativ hart», meint Nationalrat Gerhard Pfister (CVP/ZG). Denn rasch würden Asylsuchende merken, dass viele gemachte Versprechungen nicht so sind wie erwartet.
Cédric Wermuth , SP-Nationalrat (AG) findet es müssig, über solche Fantasien zu diskutieren. Entscheidend sei der Grund, warum jemand geflüchtet sei. Es gebe Leute aus Syrien und Irak, die an Leib und Leben bedroht sind. Es gebe aber auch solche aus Nordafrika, die es tatsächlich nicht sind und aus wirtschaftlichen Gründen migrieren.
Logistisch vieles möglich, aber was später?
Aber nach der hypothetischen Frage an die Gäste in der «Arena» zurück in der Realität: Wenn jetzt davon gesprochen wird, vielleicht sogar Kontingente von 50‘000 oder gar 100‘000 Flüchtlingen, stellt sich die Frage, wo diese Menschen untergebracht werden.
Logistisch sieht Pfister kein Problem. «Aber 70 Prozent der vorläufig Aufgenommenen werden in der Schweiz ein Leben lang arbeitslos bleiben. Bei den anerkannten Flüchtlingen sind es gerade 20 Prozent, die arbeiten können.» Darum sei das Unterbringen zwar gut zu bewältigen. «Aber diesen Leuten eine Perspektive und Arbeit zu geben und vermeiden, dass sie lebenslang in der Sozialhilfe leben, ist sehr viel anspruchsvoller.»
Die logistische Leistung stellt Reimann, Präsident der Auns, in Abrede. «50‘000 Asylsuchende sind logistisch nicht zu schaffen.» Die Schweiz habe im internationalen Vergleich am meisten Asylsuchende aufgenommen. Statt Kosten von einer Milliarde Franken aufzuwenden müsste man schauen, dass vor Ort geholfen wird, statt alle in die Schweiz zu holen.
Hochuli, Sozialdirektorin des Kantons Aargau, würde für allenfalls 100‘000 Personen versuchen, Zivilschutz-Unterkünfte oder Camps aufzustellen. Die Frage sei aber, was nachher kommt: «Die Erwerbsquote würde steigen, wenn die Integration klappen würde. Das funktioniert aber viel zu wenig.»
Auch Wermuth sieht das Problem nicht in der Logistik. Aber wenn man die Situation im Mittelmeer pragmatisch betrachte, «dort herrscht aktuell kurzfristig eine extreme humanitäre Krise. Darum ist es sinnvoll, diese Leute zuerst einmal aufzunehmen und dann zu schauen, was es für Lösungen gibt.»
Vieles ist möglich, wer geht voran?
Für den Experten Claudio Martelli vom Staatssekretariat für Migration (SEM) wäre ein konkreter politischer Auftrag, so viele Asylbewerber aufzunehmen, sicher machbar.
«Es gab Schwankungen in den letzten zwei Jahren im Asylbereich. Was es wurde in Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden bewiesen, dass man auf solche Schwankungen reagieren kann», meint Martelli.
Viel mehr stelle sich aber die Frage, wie man die Aufnahme von so vielen Flüchtlingen den Leuten klarmache, sagt Denise Efionayi-Mäder vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien an der Universität Neuchâtel.
Denn die Akzeptanz in der Politik und in der Bevölkerung sei schwieriger geworden. «1999, während des Kosovo-Kriegs, gab es 46‘000 Asylgesuche in der Schweiz. Es war nicht einfach, aber es gab Protagonisten, die gesagt haben, das müssen wir machen. Und das ging dann auch», gibt sich Efionayi überzeugt. Für sie müsste in der jetzigen Situation mit den Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen, auch jemand voran gehen.