In einem Punkt ist man sich schon zu Beginn der «Arena» einig: Es kann mit der Kostensteigerung nicht weiter gehen. Strittig ist nur, wie diese Entwicklung zu bremsen ist. « Aber wir müssen uns überlegen, warum die Prämien so gestiegen sind», erklärt Nationalrätin Christine Häsler (Grüne/BE). Noch mehr Sparen gehe nicht. Ähnlich sieht es auch Heinz Brand (SVP/GR). Die Tragbarkeit werde immer schwieriger und darum sei es sehr wichtig, dass man dringend korrigiert. Der Nationalrat möchte jedoch bei den Leistungen ansetzen: «Je höher die Leistungen sind, desto höher sind die Kosten.»
Gesundheitspolitiker Jean-François Steiert (SP/FR) wirft jedoch ein, dass das beste Gesundheitswesen seinen Preis habe. Selbstverständlich gebe es Leistungen, die nicht nötig seien, betont der Freiburger SP-Nationalrat. «Es kann jedoch nicht sein, dass die mittleren Einkommen stärker belastet werden», erklärt Steiert.
Demografie als Sündenbock?
Herzchirurg Thierry Carrel sieht das Hauptproblem bei den Ärzten und den Patienten. Er betont: «Das Problem des Gesundheitswesens ist, dass wir eine Supermarkt-Mentalität haben. Man muss am Schluss an der Kasse kaum was bezahlen.»
Ein Punkt der Kostensteigerung ist die demografische Entwicklung. Die starke Überalterung sei einfach nicht wegzudiskutieren, erklärt Brand. «Dies hat zur Folge, dass mehr Gesundheitsleistungen nachgefragt werden.» Dies beobachtet auch Christine Häsler. «Wir leben länger und heute können wir viele Krankheiten heilen, was früher nicht der Fall war – das hat einen hohen Wert.» Die Versicherungen müssten sich aber bewusst sein, dass es stossend sei, wenn sie nach wie vor Gewinne machen und die Prämien dennoch steigen.
Überflüssige Leistungen?
In diese ethischen Fragen greift der Experte Timan Slembeck von der ZHAW ein. Der Ökonomieprofessor findet es problematisch, wenn die Überalterung als Ursache für die Kostenexplosion bezeichnet wird. Dies sei ein Trugschluss. «Es gibt Studien, die zeigen, dass die demografische Alterung etwa 20 Prozent der Kostensteigerung ausmachen und gegen diesen Teil wollen wir hoffentlich nichts machen.»
Der Bündner SVP-Nationalrat Brand erklärt auch ein anders Einsparpotenzial: «20 Prozent der Leistungen sind überflüssig. Das sind je nachdem, wie man rechnet zwischen sechs und acht Milliarden Franken.» Dazu meint Gesundheitsökonom Slembeck: «Die Prämien müssen so hoch sein. Der Anteil vom Gesundheitswesen an der Gesamtwirtschaft ist praktisch konstant geblieben.» Für ein reiches Land wie es die Schweiz sei, sei es ganz normal, dass wir rund 10 Prozent des Einkommens für das Gesundheitswesen ausgeben würden. Ökonomisch komme noch dazu: «Das gibt Arbeitsplätze.»
Aufhebung des Vertragszwangs?
Thierry Carrel spricht auch noch eine andere Problematik an: Der Patient könne das System unterwandern. Es gebe Patienten, die jede mögliche Untersuchung fordern, bei kleinen Beschwerden. Wenn hier der Arzt unnötige Untersuchungen ablehne und dann später trotzdem Probleme auftauchen würden, dann lande man als Arzt vor dem Richter: «Der Arzt ist meistens der Vollstrecker des Wunsches der Patienten. Zuviel ist nicht gut und zu wenig kann ein Problem werden.» Zudem gibt er zu bedenken: «Sich auf das Essenzielle zu beschränken, kann potenziell gefährlich werden.»
Der Vertragszwang ist auch ein Thema in der «Arena». Dieser müsse aufgehoben werden, betont Gesundheitspolitiker Brand. Leerläufe in Spitälern könnten nicht verhindert werden, wenn alle Leistungen am Schluss von der Krankenkasse bezahlt werden müssen. Herzchirurg Carrel meint jedoch, dass auch die Qualität in den Spitälern angeschaut werden muss. «Es muss bekannt werden, welche Ärzte schlechte oder unnötige Leistungen anbieten.»
Kantone haben zu viele Hüte an
Problem hierbei ist jedoch, dass Patienten die Qualität nicht beurteilen können. «Es braucht Indikatoren, welche die gute Leistung belohnt», erklärt Slembeck. Der Ökonom will bei den Kantonen ansetzen und den «Kantönligeist» bekämpfen. Nicht jeder Kanton müsse ein eigenes Gesundheitszentrum haben. «Jeder Kanton will eine gute Ausstattung. So haben wir einen Ausstattungswettbewerb und zu viel Konkurrenzdenken bei den Kantonen.»
Zudem hätten die Kantone zu viele Hüte auf: Sie seien Planer, Finanzierer und Aufsichtsbehörde im Gesundheitswesen, so Slembeck. «Das beisst sich.» Er befürwortet ein Auflösen der kantonalen Zuständigkeiten in Versorgungsregionen.