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Schweiz Aufseher und Häftlinge: Wie nah ist zu nah?

Führungsschwächen, Amtsgeheimnisverletzung und Bevorzugung von Häftlingen: Die Vorwürfe an die Leitung des Berner Gefängnisses Thorberg wiegen schwer. Doch Thorberg ist wohl kein Einzelfall: Denn der Grat zwischen Nähe und Distanz in Schweizer Gefängnissen ist schmal.

Aufseher schliesst eine Metalltüre auf.
Legende: Betroffen vom Thema Nähe und Distanz in Gefängnissen sind neben dem Aufsichtspersonal auch Ärzte oder Seelsorger. Keystone

Der Berner Polizeidirektor Hans-Jürg Käser hat eine externe Untersuchung gegen die Anstaltsleitung Thorberg eingeleitet. Dem Direktor wird Führungsschwäche vorgeworfen, er soll zudem einzelne Gefangene bevorzugt haben. Eine Strafanzeige eingereicht hat Käser zudem wegen Amtsgeheimnisverletzung.

Thorberg: ein Einzelfall? Vermutlich nicht. Es sei schwierig, gegenüber Inhaftierten eine gewisse Distanz zu wahren, sagt Brigitte Tag, Professorin für Strafrecht, Strafprozessrecht und Medizinrecht an der Universität Zürich. «Je länger ein Straftäter im Gefängnis ist, desto mehr wird die Distanz zum Problem.»

Man gewöhne sich aneinander, sagt Brigitte Tag, man kenne sich gut. Man sehe sich in jeder Lebenslage. Dies führe automatisch zu Näheverhältnissen. «Das muss nicht schlecht sein». Im Gegenteil; Oft sei es auch wichtig, dass der Mensch als solcher wahrgenommen werde.

Eine Beziehung gibt es immer

Der Fall Thorberg

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Wieso es im Fall des Gefängnisses Thorberg jetzt eine externe Untersuchung gibt, können Sie hier nachlesen.

Die Grenze liegt laut Brigitte Tag da, wo Regeln gebrochen werden. Und das ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Überall gibt es Verordnungen, Konkordate, aber auch interne Hausordnungen und Richtlinien. Diese Regelwerke geben Aufsehern vor, wie sie sich verhalten müssen.

Darin geschult werden die Aufseher im Schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal in Freiburg. Vizedirektor Karl-Heinz Vogt sagt zu SRF News Online, das Thema Nähe und Distanz werde sowohl in der Grundausbildung wie auch in der Weiterbildung intensiv geschult.

«Man kann nicht nicht eine Beziehung haben», so Vogt. So wie man nicht nicht kommunizieren könne. Die Lernziele bestünden also darin, die Unterschiede zwischen einer privaten und einer professionellen Beziehung zu kennen – und die Risikofaktoren zu kennen, die zum Verlust der professionellen Nähe und Distanz führen könnten.

Gesetz regelt schlimmste Vergehen

Hinzu kommen laut Karl-Heinz Vogt absolute No-Gos. Dazu gehören das Duzen von Gefangenen, das Annehmen von Gefälligkeiten und Geschenken oder das Weitergeben privater Informationen. Dies durchbreche die notwendige Distanz zu den Gefangenen.

Und dies komme relativ häufig vor, betont Brigitte Tag. Das sei an sich keine Besonderheit. Für schlimme Vergehen – wie etwa Fluchthilfe – ist eine Gefängnisstrafe für den Helfer vorgesehen. Somit regelt das Gesetz also diese Art von Nähe.

Generell gelte, die Regeln einzuhalten. Je besser man jemanden kenne, umso mehr lasse man sich erweichen, von den Regeln abzuweichen. Hier müsse der betroffene Aufseher auf die Notbremse treten – und von sich aus informieren. So könne man diesen beispielsweise anderen Gefangenen zuweisen.

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