Im Jahr 2014 wurden im Triemlispital in Zürich 2020 Kinder geboren – so viele wie noch nie. Auch in Bern, Basel oder Winterthur vermelden die Spitäler Rekordzahlen. Im Jahr davor verzeichnete die Stadt Zürich insgesamt 4920 Neugeborene, so viele wie seit 45 Jahren nicht mehr. Zwei von drei Kindern hatten im Jahr 2013 laut Statistik Stadt Zürich eine Schweizer Mutter. Zahlen für 2014 hat das Amt noch nicht veröffentlicht.
Zeigen die Geburtenzahlen der Spitäler nun einen Trend zurück zu Familie und mehr Kindern? Helena Trachsel, Leiterin der Fachstelle für die Gleichstellung für Mann und Frau in Zürich, sieht dazu Hinweise: «In Gesprächen mit jungen Paaren stelle ich fest, dass Familienplanung wieder ein wichtiges Thema ist.»
Karriere verliert an Bedeutung
Diese «erfreuliche Entwicklung» habe vor allem zwei Gründe: Einerseits sei für die junge Generation klar, dass Familie zu haben nicht mehr bedeute, seine berufliche Karriere aufgeben zu müssen. «Das war vor 20 Jahren noch anders.»
Heute sei die Zuversicht, gute Lösungen für die Vereinbarkeit von Kind und Beruf zu finden, deutlich gestiegen: «Neue Gesetze haben zum Beispiel zumindest in den Städten zu einem guten Angebot an Krippenplätzen geführt, auch Firmen investieren mehr in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie», so Trachsel.
Andererseits spielten die Männer eine wichtige Rolle: «Sie wollen vermehrt Teilzeit arbeiten und mehr Zeit in die Familie investieren», stellt Trachsel fest. Und: «Die Karriere hat einen weniger grossen Stellenwert, die Bedeutung der Work-Life-Balance steigt bei beiden Geschlechtern, auch bei jungen Kaderleuten.»
Wunsch nach Home-Office- und Teilzeitarbeit
Zwar sei es nach wie vor so, dass nach der Geburt oft die Frauen ihre Arbeitspensen reduzieren. Aber: «Für die Männer ist es zunehmend wichtig, dass dies für sie ebenfalls möglich ist.» So habe sie Gespräche mit jungen Männern geführt, die gar ihre Stelle kündigen wollen, «wenn dort keine Lösung gefunden werden kann.»
Trachsel sieht deshalb grossen Nachholbedarf bei flexiblen Arbeitsmodellen: «Die Firmen müssen mehr Home-Office-Lösungen zulassen und ihren Mitarbeitern Aufstiegschancen ermöglichen, die auch eine vorübergehende Teilzeitarbeit mit einschliessen.»
Die Gleichstellungsbeauftragte ist sich sicher, dass diesbezüglich der Druck auf die Arbeitgeber steigt, alleine schon aus demographischen Gründen: «Es herrscht Fachkräftemangel. Die Firmen müssen Lösungen anbieten, die für junge und gut ausgebildete Menschen attraktiv sind», so Trachsel. Deshalb könne es sich die Gesellschaft auch nicht leisten, die Frauen im Falle einer Geburt aus dem Arbeitsleben zu drängen.
Dennoch stünden Versuche zu neuen Arbeitsmodellen noch in den Kinderschuhen. Zwar gebe es Beispiele von Firmen, die viel unternehmen. Aber: «Bei vielen braucht es eine Veränderung der Kultur: Hin zum Vertrauen, dass bei Arbeit von zuhause aus genauso viel geleistet wird, wie wenn man ins Büro geht.»
Geburtenrate tiefer als in Norwegen
Ob die Geburtenrekorde aus den verschiedenen Spitälern indes eine klare und schweizweite Trendwende hin zu mehr Kindern zeigt, ist unklar. Zahlen zu 2014 veröffentlicht das Bundesamt für Statistik erst Ende Februar. Und in den vergangenen Jahren blieb die Geburtenrate in etwa stabil. So lag sie 2011 bei durchschnittlich 1.52 Kindern pro Frau, stieg im Jahr 2012 auf 1,53 und sank 2013 wieder auf 1,52.
So ist Sylvie Durrer, Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Mann und Frau, denn auch zurückhaltend: «Die Geburtenrate in der Schweiz lag 2013 sehr viel tiefer als beispielsweise in Norwegen oder Schweden. Dort ist sie viel höher, weil die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirklich möglich ist.»
Falls sich ein Anstieg der Geburtenrate aber bestätige, wäre das «natürlich umso erfreulicher». Aber auch für Durrer ist klar: «Es wird ein verstärktes Engagement der Gesellschaft und der Unternehmen brauchen, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in der Schweiz weiterhin zu verbessern.»