Norbert Kräuchi, der Leiter der Abteilung Landschaft und Gewässer im Kanton Aargau, wollte es ganz genau wissen. Wie viel Ackerland ging 2014 im Aargau ausserhalb der Bauzonen verloren – und wofür? Die Auswertung der Zahlen überrascht: 60 Prozent geht auf das Konto der Landwirtschaft. «Es sind Remisen, Ställe und immer mehr auch Kühlregallager, die ausserhalb der Bauzone gebaut werden und die brauchen sehr viel Fläche», sagt Kräuchi.
Keine Überraschung für Bauernverband
Ungleich kleiner war der Verbrauch von gutem Ackerland für Strassen- und Bahnprojekte, für Golfplätze oder für die Renaturierung von Bächen und Flüssen. Für Naturschutzprojekte war der Verbrauch etwa zehn Mal kleiner als für die Bauprojekte der Landwirtschaft. Vielleicht sollte der Bauernverband also erst einmal den eigenen Landverbrauch unter die Lupe nehmen, statt auf den Gewässerschutz zu schiessen?
Bauernverbands-Präsident Markus Ritter sieht das nicht so. Er zeigt sich auch nicht überrascht über die Zahlen aus dem Aargau: «Die Politik erwartet von der Landwirtschaft, dass sie effizienter wirtschaftet und dass sie auch in neue Gebäude wie tierfreundliche Stallhaltungssysteme investiert. Die Bauern passen sich hier an – das erstaunt mich nicht.»
Mehr Poulet braucht mehr Land
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Wenn Schweizer mehr Poulet essen wollten, so brauche es eben grosse, neue Hühnerställe und die liessen sich nicht mitten in den Dörfern bauen, sagt Ritter. Er findet zudem, man müsse neben der Renaturierung redlicherweise auch die grossen Räume entlang den Gewässern dazurechnen, die künftig weniger intensiv bewirtschaftet werden dürfen. Die Bauern würden weiter dagegen kämpfen, kündigt Ritter an: «Gerade im Kanton Aargau wird sehr viel Fläche verloren gehen. Wir rechnen für die Ausscheidung der Gewässerräume gesamtschweizerisch mit 20‘000 Hektaren – das ist eine Riesenfläche – und diese Auseinandersetzung steht uns noch bevor.»
Pro Natura ist entrüstet
Es geht um die Umsetzung des Gewässerschutzes, wie ihn die Bevölkerung 2011 an der Urne beschlossen hat. Die Fischer und die Umweltorganisationen wie Pro Natura zeigen sich entrüstet darüber, dass die Bauern die Umsetzung des Volksentscheides jetzt zu verhindern versuchen. Die Streifen entlang der Bäche und Flüsse, in denen keine Pestizide und kein Dünger mehr eingesetzt werden dürfen, seien – im Gegensatz zu den renaturierten, verbreiterten Flüssen – für die Landwirtschaft kein verlorenes Land, sagt Marcel Liner von Pro Natura: «Es ist eine extensive Bewirtschaftung, dir dort gefordert wird, aber diese Fläche kann jederzeit wieder in einen Getreideacker umgewandelt werden.»
Dann etwa, wenn die Versorgung der Schweiz mit Nahrungsmitteln wirklich kritisch würde. Zudem müssten die Flächen zur Renaturierung, also die Flächen zur Verbreiterung der Flüsse in ein Verhältnis gesetzt werden zu dem, was die Landwirtschaft der Natur weggenommen habe. Auch dazu liefert die Aargauer Untersuchung Zahlen: Von den Sumpfgebieten und Wasserläufen, die seit 125 Jahren verschwunden sind, werden mit der Renaturierung gerade mal drei Prozent wiederhergestellt. Der Natur gebe man nur einen Bruchteil wieder zurück, sagt Liner.
Mehr Platz gegen Hochwasser und für die Natur
Zentral sei laut Liner aber auch der Hochwasserschutz. Die grossen Überschwemmungen im Urner Reusstal und im Berner Oberland hätten deutlich gezeigt, dass die Flüsse mehr Platz bräuchten – und mehr Platz bedeute lebendigere Flussläufe, das wirke sich zum Glück auch schnell auf die Tierwelt aus. «Ich denke an die Bachforelle, an Krebse, an Libellen. Man weiss aus Untersuchungen, dass diese Tiere dann relativ schnell wieder zurückkommen.» Liner weist auch daraufhin, dass dies von grossem Nutzen für die Anwohner, welche Freude an diesen Lebensräumen hätten, sei.
Pro Natura fordert die Bauern deshalb dazu auf, die Attacken auf den Gewässerschutz zu stoppen und den eigenen sehr hohen Verbrauch an gutem Ackerland zu überdenken. Die Zahlen aus dem Kanton Aargau stossen auf reges Interesse – auch andere Kantone wollen nun genauer abklären, wer für wie viel Kulturlandverlust ausserhalb der Bauzone verantwortlich ist.