Viel ist nicht los im Walliser 530 Seelen-Dorf Ernen an diesem kalten Herbstmorgen. Die Gassen sind leer, längst nicht aus allen Kaminen steigt Rauch auf. In den vielen Dorfbrunnen plätschert Wasser. Die prächtigen Holzhäuser im Zentrum erinnern an den Glanz längst vergangener Zeiten. Es sind traditionelle Walliser Strickbauten. Sie sind stattlicher als in anderen Dörfern in der Region. Aber genauso braun gebrannt von Sonne und Wind.
Komplizierte Eigentumsverhältnisse
Eines der Häuser sieht besonders verlassen aus. Eine Hecke überwuchert die Fassade. Auf dem Fenstersims sitzt eine Katze. Sie werde vom Nachbar gefüttert seit der Besitzer verstorben sei, erzählt der Gemeindeschreiber Stefan Clausen: «Das Haus gehört einer Erbgemeinschaft. Der Besitzer ist vor zweieinhalb Jahren gestorben. Bis man die Verhältnisse mit der Erbgemeinschaft gelöst hat, dauert es.»
Er trifft den wunden Punkt: Komplizierte Eigentumsverhältnisse machen allen Walliser Berggemeinden das Leben schwer. Boden und Häuser werden seit Jahrzehnten zu gleichen Teilen auf alle Kinder verteilt. Das bedeutet, dass in manchen Gebäuden weit über hundert Eigentümer Kleinstanteile besitzen.
Forderung nach Vereinfachung der Erbregeln
Manchmal können sich die Erben einigen. Oft gelingt das aber nicht. Die Gemeinde könne da nicht viel tun. «Wir mischen uns nicht ein. Wir versuchen höchstens, den Kontakt zwischen Erben und der Denkmalpflege zu vermitteln», sagt Clausen. Denn manchmal einigen sich die Besitzer schneller, wenn ihnen klar wird, dass es für den Erhalt von schützenswerten Bauten Geld gibt.
Allerdings sind nicht alle Bauten erhaltenswert, nicht einmal im Gommer Dorf Ernen, das für seinen intakten Ortskern 1979 den Wakkerpreis erhalten hat. Der Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Berggebiete, Thomas Egger, fordert deshalb, dass die Eigentümerstrukturen vereinfacht werden.
«Solange noch ein winziger Bruchteil jemandem gehört, der dann nicht bereit ist, zu verkaufen, ist es sehr schwierig.» Deshalb müsse man anfangen, über Gütermeliorationen innerhalb der Bauzone nachzudenken und nicht nur im Landwirtschaftsgebiet, sagt Egger. So hätten Dörfer wie Ernen eine Chance, als Wohnort wieder attraktiver zu werden.
Nur zusammen kommt man weiter
Dass es im ganzen Kanton Anstrengungen braucht, um die Abwanderung aus den Bergdörfern in den Talgrund zu bremsen, finden auch viele Politiker aus grossen Gemeinden. «Man muss das Wallis als Ganzes ansehen. Wir werden nur funktionieren, wenn wir gute Talgemeinden haben, die gute Grunddienstleistungen bereitstellen. Aber wir brauchen auch die Bergdörfer, damit unsere schöne Naturlandschaft weiter belebt wird», sagt Niklaus Furger. Er ist Gemeindepräsident im florierenden Städtchen Visp.
Worte, die man in Ernen gerne hört. Denn auch wenn die Behörden aus den sterbenden Bergdörfern manchmal eifersüchtig auf die florierenden Städte im Talgrund schauen: Die Walliser wollen sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. «Wenn wir zusammen arbeiten, kommen wir viel weiter», findet der Erner Gemeindeschreiber Clausen.
Viele Probleme ungelöst
Er beendet seinen Rundgang durch das Dorf auf einer Baustelle. Arbeiter legen das Fundament für ein neues Einfamilienhaus – für eine einheimische Familie. Das komme sehr selten vor. Vielleicht alle fünf bis zehn Jahre, gesteht der Gemeindeschreiber.
Solche Beispiele geben abwanderungsgeplagten Dörfern wie Ernen neue Hoffnung. Aber sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Probleme noch ungelöst sind.