Die geburtenstarken Jahrgänge kommen ins Pensionsalter. Und je älter die sogenannten Baby-Boomer werden, desto mehr werden sie auf Unterstützung und Betreuung angewiesen sein. Diese leisten nicht nur die Angehörigen, aber auch. Der Bund sieht Handlungsbedarf und lässt deshalb prüfen, was es braucht, um Angehörigenpflege und Erwerbsarbeit besser vereinbaren zu können.
Salomé von Greyerz ist beim Bundesamt für Gesundheit für das Dossier Angehörigenpflege zuständig. Sie sieht heikle Zielkonflikte. «Gerade auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und der demografischen Entwicklung auch im Bereich des Arbeitsmarktes ist es wichtig, dass gut ausgebildete Frauen auch weiterhin beschäftigt bleiben können, auch wenn sie sich vielleicht vorübergehend etwas intensiver um ihre Angehörigen kümmern müssen», sagt sie.
Wer soll die Kosten übernehmen?
Der grösste Knackpunkt ist dabei die Frage, wer die Kosten tragen soll, wenn Frauen und Männer am Arbeitsplatz fehlen, um kranke Angehörigen zu betreuen. Einzelne Kantone und Gemeinden leisten kleinere Beiträge. Anders als in den Nachbarländern gibt es in der Schweiz keine Lohnfortzahlungspflicht. Der Bundesrat hat bereits klar gemacht, dass eine solche Last auch künftig nicht den einzelnen Arbeitgebern aufgebürdet werden soll. Man müsse eine Lösung suchen, bei der die Kosten gemeinschaftlich getragen würden, sagt von Greyerz.
Ein Beispiel einer gemeinschaftlich finanzierten Sozialversicherung ist die Mutterschaftsversicherung. Sie wird aus einem Topf finanziert, in den alle Betriebe einzahlen. Müssten einzelne Arbeitgeber eine allfällige Lohnfortzahlung aus dem eigenen Sack zahlen, könnte das den Pflegenden auf dem Arbeitsmarkt schaden, fürchtet von Greyerz.
Kein Thema für den Arbeitgeberverband
Für den Arbeitgeberverband sind neue gesetzliche Regelungen oder gar eine Lohnfortzahlung für pflegende Angehörige zurzeit allerdings kein Thema, wie Arbeitsmarkt-Spezialistin Daniela Lützelschwab sagt. «Die Unternehmen melden uns, dass es vielleicht immer wiedermal eine Anfrage gibt. Mit den bestehenden Möglichkeiten auf individueller Grundlagen findet man gute Lösungen.»
Die Arbeitgeber setzen beispielsweise auf flexible Arbeitszeitmodelle, die zulassen, dass jemand vorübergehend sein Pensum reduziert. Oder sie gewähren unbezahlten Urlaub, damit Angestellte ihre Angehörigen pflegen können.
Aus der Sicht der Arbeitgeber besteht kein Handlungsbedarf. Deshalb wolle man sich keine zusätzlichen Kosten für Angehörigenpflege aufladen, auch nicht über eine neue Sozialversicherung, sagt Lützelschwab. «Wir sind der Ansicht, dass die Sozialversicherungen nicht ausgebaut werden sollten, angesichts des finanziellen Druckes, der jetzt schon herrscht.»
Nach dem Willen der Arbeitgeber sollen also alle selber schauen, wie sie Arbeit und Pflegen unter einen Hut bringen, wenn Angehörige ihre Unterstützung brauchen.