Die Szene der Schweizer Dschihad-Sympathisanten funktioniert dezentral und ist darauf bedacht, die Spuren zu Organisationen, Namen und Beziehungen immer wieder zu verwischen. In dem Beziehungsgeflecht tauchen auch radikale Prediger aus dem Balkan auf. Ein Muster ist nicht zu erkennen.
Der Rechercheverbund von SRF und der deutschen Tageszeitung «Stuttgarter Nachrichten» hat in dem komplexen Netzwerk aus Einträgen in sozialen Netzwerken, Facebook-Freundschaften und losen Bekanntschaften recherchiert. Predigten und Vorträge in Moscheen und Gebetsvereinen lassen sich im Netz wieder finden, aufgenommen in Jahren ab 2012 im Norden Zürichs.
Augenschein im Kanton Zürich
Im Industriequartier in Wallisellen: Ein fast fensterloser Kasten, hellblau getüncht, hinter einem Parkplatz beherbergt den Gebetsraum des Vereins «Gemeinschaft der Kosovo Bosniaken» («Dzemat kosovskih Bosnjaka», DZKB). Zu den Nachbarn zählen ein Weinhändler, ein Malergeschäft und die christliche Glaubensgemeinschaft «The Redeemed Christian Church of God».
Im Frühling 2012 lud an diesen Ort Bilal Bosnić zu seiner Predigt und wählte dafür scharfe Worte: «(…) Das Jüngste Gericht wird nicht kommen, bevor nicht der Islam in jedes Haus eingetreten ist, so wie der Tag und die Nacht eintreten. Das sind, Brüder und Schwestern, die Worte unseres Propheten. (…)».
Bilal Bosnić gilt als einer der Anwerber in der dschihadistischen Szene in Europa. Ein Video der Predigt Bosnićs wurde auf Youtube veröffentlicht. Im Gebetsraum in Wallisellen verkündet er den Islam als totalitäre Ideologie. Geistige Grundlage für Dschihadismus. Die Veröffentlichungen sind gut drei Jahre her.
Heute distanziert sich Muamer Elezi, der Iman der «Gemeinschaft der Kosovo Bosniaken», von solch religiös-radikalen Strömungen: «Wir sind eine Gemeinschaft, die der hanafitischen Schule folgt, dem gemässigten Balkan-Islam. Wir schauen, dass unsere Mitglieder auf diesem Weg bleiben.
Wir kontrollieren unsere Mitglieder, dass sie auf diesem Weg bleiben – wie jeder Muslime es sollte.» Als Bilal Bosnić im Jahr 2012 vor der «Gemeinschaft der Kosovo Bosniaken» sprach, präsidierte Miftar Kuljiči den Verein.
Heute erklärt er Bosnićs Aufritt: «Das ist zufällig passiert. Bosnić befand sich auf einer Europareise. (...) Es hat mich interessiert, was er sagt.» Im Kontext der Aktualität von religiösem Extremismus distanziert sich Kuljiči: «Für uns ist es inakzeptabel, dass solche Taten, wie sie die Medien berichten, im Namen des Islam getan werden.»
Auf der Suche im Balkan
Von Wallisellen geht die Reise auf den Balkan, nach Bosnien. Hier ist Husein Bilal Bosnić seit dem 3. September 2014 in Haft. Ihm wird vorgeworfen, öffentlich zu terroristischen Aktivitäten aufgerufen und Kämpfer für den Islamischen Staat (IS) in Syrien und Irak angeworben zu haben. Ein weiteres Verfahren gegen Bosnić läuft in Italien.
Seine Karriere im Umfeld radikaler Islamisten beginnt bereits im Bosnien-Krieg von 1992 bis 1995. Bosnić, damals knapp 20-jährig, schloss sich der Einheit al Mujahed an, zu der ausländische Extremisten aus dem Nahen Osten zählten.
Bosnić etabliert sich mit den Jahren als Radikalen-Führer auf dem Balkan, tourt durch Europa und stellt seine Predigten ins Internet. Auch seinen Aufruf zum Dschihad in Syrien: «Es gibt nichts Grösseres als zu sterben als Märtyrer. Als Shehid. In Syrien.» Sein Anwalt Adil Lazo bestreitet gegenüber SRF die Vorwürfe der bosnischen Staatsanwaltschaft.
Auch Sead Islamović predigte in den Gebetsräumen im Walliseller Industriegebiet. Aus Novi Pazar, im Südwesten Serbiens, verspricht er weiterhin das Paradies. Hier liegt auch das Zentrum der muslimischen Minderheit im christlich-orthodoxen Serbien. Die unterschiedlichen Wertvorstellungen der Bevölkerung, geprägt durch Ihre Religionen, treffen hier aufeinander. Ein fragiles Zusammenleben mit wenig Perspektiven.
Islamović erlaubt den Reportern der «Rundschau», in seiner Moschee in Novi Pazar zu drehen. Ein Interview gibt er nicht. Islamović ist auf dem Radar nationaler und internationaler Geheimdienste. Zeitungen in Serbien nennen seinen Namen im Zusammenhang mit Dschihad-Reisenden aus Novi Pazar. Unter diesen Dschihad-Reisenden gibt es Tote.
Einer von ihnen ist Eldar Kundaković, gestorben vor rund zwei Jahren im syrischen Kriegsgebiet. Sein Vater bleibt zurück in der Heimatstadt. Er betreibt hier eine Schneiderei – klein, vollgestopft, die Nähmaschine rattert – und kämpft seit dem Verlust des Sohnes gegen den religiösen Extremismus: «Ich glaube, ich habe mindestens 20 von ihnen abgehalten zu gehen.» Dieser Kampf und der Wille, andere vor einem ähnlichen Schicksal zu beschützen, sind der Ausdruck, das Andenken an seinen Sohn zu wahren.
Sein Auftritt in Wallisellen war ein Heimspiel: Idriz Bilibani. Er stammt aus einem Dorf südlich von Prizren im südlichen Kosovo und gehört zur Minderheit der Kosovo-Bosniaken – wie die Mitglieder des Walliseller Moscheevereins.
In Prizren sind fast alle Minderheiten der balkanischen Bevölkerung vertreten. Ein Exodus als kosovarische Form von Sozialprotest hat Europa Anfang des Jahres aufgeschreckt und die mediale Aufmerksamkeit auf die Region gelenkt.
Die einen suchen Zuflucht in den europäischen Nachbarländern, die anderen flüchten sich in den radikalen Islamismus in der Heimat.
Hier gilt Bilibani als Übersetzer: Er überbringt die Botschaft der bosnischen Extremisten in den albanisch-sprachigen Teil der Region. Die kosovarischen Behörden haben Bilibani untersagt, mit Journalisten zu sprechen. Er steht unter Hausarrest.
Wie Bosnić und Islamović steht auch Bilibani in Verdacht, Personen für den Dschihad angeworben zu haben. Die Staatsanwältin Sevdije Morina ist verantwortlich für das Verfahren gegen Bilibani: «Es ist schwierig, echte Fakten zu finden. (...) Der Krieg findet in Syrien statt. Es gibt keine Zusammenarbeit. Wir haben keine sicheren Beweise.»
Zurück in der Schweiz
Für praktizierende Muslime, die in der Moschee in Wallisellen ein Stück Heimat suchen, haben Dschihad-Phantasien keinen Platz. In der Öffentlichkeit darüber sprechen will allerdings niemand.
Die radikal-religiösen Mitglieder seien weitergezogen, rund 15 Kilometer entfernt, nach Embrach. Feste Treffpunkte derjenigen, die sich dem religiösen Extremismus zu wenden, bleiben aber soziale Netzwerke. Bosnić, Islamović und Bilibani – ihre Predigten bleiben hängen im Netz und finden ihren Nachhall bei denen, die nach radikalen Ideen suchen.
Mitarbeit: Fiona Endres, Timo Grossenbacher, Shamiran Stefanos sowie Investigative Reporting Project Italy (IRPI) .