«Klein, dick und dumm», hat sie ihn genannt, einen «Fettsack». Zwei Jahre lang. Täglich. Gepiesackt, gestichelt, geärgert. In einem Heim in Güttingen am Bodensee, einem alten Riegelbau, da haben der Knabe und das Mädchen gelebt, zusammen mit anderen Kindern und Jugendlichen, die auffällig sind oder in einem schwierigen elterlichen Umfeld aufwachsen.
Klein, dick und dumm. Solche Sprüche habe er als Knabe schon sein ganzes Leben lang gehört, sagt seine Mutter. Es ist ein schöner Maientag 2005, da hört er das Mädchen duschen. Schnappt sich ein Küchenmesser. Stösst die Tür zur Dusche auf. Sie schreit. Sie kratzt. Sie reisst ihn an den Haaren. Er ist stärker. Dreiundzwanzigmal Mal rammt er das Messer bis zum Anschlag in ihren Körper. Rücken, Bauch und Hals. Er schleppt die Leiche die Holztreppe runter. Versucht sie in den Container zu stopfen vor dem Haus. Zu schwer. Er lässt sie auf dem Trottoir liegen.
«Schlimmster Fall»
Die Bluttat von Güttingen schockierte vor acht Jahren die Schweiz. Der Knabe ist heute ein junger Mann – und beschäftigt das Schweizer Justizsystem noch immer. «Das ist ein Fall, wie es ihn in der Schweiz höchstens eine Handvoll gibt», sagt Marcel Ruf, Direktor der Strafanstalt Lenzburg.
Das Jugendgericht Entlebuch sprach ihn im Mai 2006 der vorsätzlichen Tötung schuldig und wies ihn in ein Erziehungsheim ein. Den grössten Teil seiner Jugend verbrachte er im Jugendheim Aarburg. Der Therapie-Erfolg war gering, der Aufwand enorm. Leute, die ihn in Aarburg kennengelernt hatten, beschreiben ihn als aggressiv und schnell reizbar. Erfahrene Jugendarbeiter sprechen vom «schlimmsten Fall, den wir je hatten». Er wurde mehrmals in verschiedene Bezirksgefängnisse verlegt, war dort aber nach wenigen Wochen jeweils nicht mehr tragbar.
Heute ist er 22 Jahre alt. Die vom Jugendgericht angeordneten Massnahmen gelten nicht mehr. Doch weil er zu gefährlich ist für die Freiheit, steckt er immer noch im Gefängnis. Er ist im Sicherheitstrakt der Justizvollzugs-Anstalt Lenzburg untergebracht. Dies im Rahmen einer fürsorgerischen Unterbringung, angeordnet von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Entlebuch. Eine solche zivilrechtliche Massnahme darf bei Personen angewendet werden, «die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leiden», wie die zuständige Behörde schreibt.
Eine lange Liste von Störungen
Die Psychiater sprechen von einer langen Liste an Persönlichkeitsstörungen, an denen der junge Mann leidet: Gewaltbereitschaft, Hyperaktivität, Dominanzstreben, Realitätsverlust. Aufgrund dieses Krankheitsbildes müsste er in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht werden; diese wollen ihn aber nicht, weil er zu gefährlich ist. «Eigentlich müsste man für solche Leute eine gesicherte Abteilung mit psychiatrischer Betreuung haben. Aber das ist bei einer solch kleinen Anzahl an Tätern nicht finanzierbar», sagt Gefängnisdirektor Marcel Ruf.
Roger Burges war Anwalt der Mutter des Opfers und ist gleichzeitig Fachexperte für Fragen der Fürsorgerischen Unterbringung. Auch er sieht momentan keine andere Möglichkeit, schwer kranke und gefährliche Menschen unterzubringen, die strafrechtlich gar nicht verurteilt sind. «Es ist eine denkbar schlechte Massnahme, aber eine bessere kennt man nicht. In einer psychiatrischen Klinik könnten sich automatisch wieder Konfliktsituationen mit anderen Patienten ergeben, die wieder in einer Katastrophe enden.»
Aus dem Kind, das tötete, ist ein Mann ohne Zukunft geworden. Psychiater erstellen alle sechs Monate ein Gutachten. Solange sich sein Zustand nicht verbessert, bleibt er eingeschlossen. Er hat mit 13 Jahren, schon als Kind, die Essenz des Lebens, seine Freiheit, verloren. Vielleicht für immer.
Jasmin, sein Opfer, hat mit 15 alles verloren. Sie wurde auf einem Friedhof in der Ostschweiz begraben. Ihr Berufswunsch war Floristin zu werden.
(rism)