Wer ins Spital muss, will gesund werden, wird aber zuweilen noch kränker. Denn jeder 20. Spitalpatient wird Opfer eines Fehlers. In der Schweiz kommt es laut aktuellen Schätzungen jährlich bis zu 1700 fehlerbedingten Todesfällen.
Da würden zum Beispiel Medikamente verwechselt, aber auch Menschen oder Körperstellen, erklärt David Schwappach von der Stiftung für Patientensicherheit. Diese kümmert sich im Auftrag von Bund und medizinischen Verbänden um die Qualität in den Spitälern. Ebenfalls auf der Liste: Infektionen aufgrund von fehlenden Desinfektionsmassnahmen. «Der Klassiker ist sicher die fehlende Händehygiene», sagt Schwappach.
Für eine offene Fehlerkultur
Ein Appell an die Sorgfalt reicht da nicht – es braucht dafür vielmehr eine offene Fehlerkultur – oder eher eine gute Sicherheitskultur, wie es Thierry Girard lieber umschreibt. Er ist Leiter der Anästhesie am Unispital Basel. «Wenn ich eine Anästhesie einleite und ich habe eine falsche Spritze in der Hand, dann erwarte ich von meinen Mitarbeitern, dass sie mich darauf aufmerksam machen», sagt Girard.
Passiert aber ein Fehler, dann müsse offen darüber gesprochen werden. Girard ist einer der Pioniere der Fehlermeldesysteme, wie sie heute in vielen Schweizer Spitälern üblich sind.
Fehler werden über eine standardisierte Software gemeldet: Was ist passiert? In welcher Situation? Wie wurde der Fehler allenfalls korrigiert? Die Eingabe am Computer ist anonym. Die Analyse danach soll helfen, ähnliche Fehler zu vermeiden.
Verbindlichkeit installieren
Auch für Erika Ziltener, Präsidentin vom Dachverband Schweizerischer Patientenstellen, sind die Fehlermeldesysteme eine gute Sache. Aber «es ist ein Problem, dass sie sehr unterschiedlich genutzt werden. Es gibt Systeme, die sind da, liegen aber brach. Andere wiederum werden sehr mustergültig geführt», so Ziltener.
Mustergültig ist für die Patientenschützerin, wenn ein Spital die Fehler analysiert, um Schwachstellen aufzudecken. Erika Ziltener stört sich vor allem daran, dass die Fehlermeldesysteme und deren Nutzung für die Spitäler freiwillig sind. «Es muss Möglichkeiten geben, Verbindlichkeit zu installieren – und auch Sanktionen, wenn es nicht anders geht.»
Spitalverband kritisch
Beim Spitalverband H-plus kommen solche Forderungen nicht gut an: Die Freiwilligkeit fördere einen positiven Umgang mit Fehlern, heisst es auf Anfrage. Behördlicher Druck könne kontraproduktiv wirken.
Auch unter Spitalärzten sind obligatorische Fehlermeldesysteme umstritten, wie eine Fachtagung in Bern kürzlich deutlich machte. Die Gegner befürchten, bei einem Obligatorium leide das Vertrauen – und die Bereitschaft, offen und ohne Angst über Fehler zu diskutieren.
Die Stiftung für Patientensicherheit ist sich dagegen nicht schlüssig. David Schwappach plädiert deshalb für einen Kompromiss: «Wirklich schwere Fälle, bei denen Menschen Schaden genommen haben, die müssten verpflichtend gemeldet werden. Im Moment wissen wir einfach nicht, wie häufig so etwas in der Schweiz passiert», sagt Schwappach. «Und das kann nicht richtig sein.»
Kantone gehen voran
Während die Experten also heftig diskutieren, gehen verschiedene Kantone bereits voran: Das Wallis zum Beispiel verpflichtet seine Spitäler zu einem Fehlermeldesystem.
Auch im Kanton Zürich ist es Bedingung, um auf die Spitalliste zu kommen. Man wolle keine Alibi-Übungen, betont Michael Vetter, zuständiger Abteilungsleiter bei der kantonalzürcher Gesundheitsdirektion. «Wir wollen nicht Polizei spielen», sagt Vetter. «Aber es ist wichtig, dass die Spitäler wissen: Die Behörde hat die Möglichkeit zu kontrollieren, dies stichprobenartig auch macht und dass es auch Konsequenzen hat, sollten Anforderungen nicht eingehalten werden.»
Auch beim Bund gibt es entsprechende Überlegungen. Zur Zeit erarbeitet der Bundesrat einen Bericht dazu. Der Trend ist: Die Spitäler kommen in Zukunft wohl kaum um obligatorische Fehlermeldesysteme herum. Denn letztlich dienen solche Systeme nicht nur dem Lernen, sondern auch der Kontrolle.