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Schweiz Der Tag, an dem die Schweizer Juden gleichberechtigt wurden

Vor 150 Jahren stimmte das Schweizer Volk einer Vorlage zu, die den Juden die Niederlassungsfreiheit zugestand. Zuvor durften sie nur in den Aargauer Dörfern Endingen und Lengnau wohnen. Die Schweiz war somit das zweitletzte Land, das Juden als Ausnahme behandelte.

Am 14. Januar 1866 stimmten die Schweizer Bürger über eine Verfassungsänderung ab, die den Juden die freie Niederlassung auf dem Gebiet der Eidgenossenschaft gewähren sollte. Zuvor waren Juden gezwungen, in den Aargauer Gemeinden Endingen und Lengnau zu wohnen.

Die Bundesverfassung von 1848 hatte Schweizer Bürgern die Niederlassungsfreiheit nur unter der Bedingung gewährt, dass sie einer christlichen Konfession angehörten. Zum Zeitpunkt der Volksabstimmung war die Schweiz neben Spanien das letzte Land, das Juden als Ausnahmen behandelte.

Feier in Bern

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Am 17. Januar feierten die Schweizer Juden das Jubiläum mit einem grossen Anlass mit Bundespräsident Johann Schneider-Ammann. Zudem öffnet die Jubiläums-Fotoausstellung, die in mehreren Städten gastiert. Der Anlass war angereichert mit Stadtrundgängen durch das jüdische Bern sowie einem Podiumsgespräch zum Thema «Migration als Chance».

Der Souverän stimmte der Vorlage mit 53,2 Prozent zu, wie aus dem «Hanbuch der eidgenössischen Volksabstimmungen 1848-2007» von Wolf Linder, Christian Bolliger und Yvan Rielle hervorgeht. Dies zu einer Zeit, als Volksabstimmungen von Nein-Sagern dominiert waren. Acht von neun Vorlagen wurden damals vom Souverän abgelehnt.

Wirtschaftsinteressen als Hintergrund

Der unmittelbare Auslöser für die Verfassungsrevision waren aber Wirtschaftsinteressen, nachdem die Juden zuvor über Jahrhunderte in der Schweiz verfolgt, vertrieben und ausgegrenzt worden waren: Mit dem Abschluss von Verträgen mit Frankreich zur Handels- und Niederlassungsfreiheit im Jahr 1864 gestand die Schweiz französischen Staatsbürgern nämlich ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit die Niederlassungsfreiheit zu. Damit benachteiligte sie gleichzeitig die nicht christlichen Schweizerinnen und Schweizer, darunter rund 4000 Juden.

Zuerst wurde versucht, alle Kantone, die die Niederlassungsfreiheit noch nicht im vollen Umfang gewährten, zu einer freiwilligen Erweiterung zu bewegen. Doch dies scheiterte. Schliesslich strichen Bundesrat und Parlament den Konfessionspassus und andere Einschränkungen aus der Verfassung.

Schweiz als Schlusslicht

Mit ihrer Zustimmung zur Verfassungsänderung schafften Volk und Stände 1866 auch die Bestimmung ab, wonach von sich Niederlassenden verlangt werden konnte, dazu im Stande zu sein, «sich und seine Familie zu ernähren». Eingebürgerte Schweizer mussten zudem für die Niederlassung nicht mehr belegen, dass sie mindestens fünf Jahre im Besitz eines Kantonsbürgerrechts waren.

Auch der Umstand, dass die Schweiz neben Spanien das letzte Land war, das Juden als Ausnahmen behandelte, stärkte die Zustimmung zu Vorlage. So überzeugte das Argument der Befürworter, «dass diese Ausnahme der Verfassung eines freien Landes übel anstehe und dass es in heutiger Zeit keinen rechten Sinn mehr habe, die bürgerlichen Rechte vom Bekenntnis des religiösen Glaubens abhängig zu machen.»

Die heutigen Probleme der jüdischen Gemeinden

Inzwischen leben in der Schweiz rund 18'000 Juden, die Wirtschaft, Politik und Kultur mitgestalten. Sogar eine Bundespräsidentin stellten sie bereits: Ruth Dreifuss. Der Präsident des schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes, Herbert Winter, zog denn auch Anfang Dezember an einer Veranstaltung zur Situation der jüdischen Gemeinschaft 150 Jahre nach der Gleichstellung insgesamt eine positive Bilanz über die Integration der Juden.

Er kam aber damals auch auf Schattenseiten zu sprechen: Schuldispensationen an jüdischen Feiertagen waren früher kein Problem, heute werden solche Dispensationen mit der Säkularisierung immer öfter verweigert, sagte er. Nach wie vor gebe es auch ein latentes Antisemitismuspotenzial.

Angesichts der gestiegenen Gefahr von Anschlägen auch in der Schweiz haben die jüdischen Gemeinden, die es sich leisten können, Unsummen in die Sicherheit investiert. Anders als in den Nachbarländern trägt die jüdische Gemeinschaft der Schweiz gemäss Winter sämtliche Kosten immer noch selbst. Die Schweiz komme zwar den meisten im Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten festgelegten Verpflichtungen nach. Beim Thema Sicherheit bestehe aber ein hohes Mass an Verbesserungspotenzial. Die Schweiz komme ihrer Schutzpflicht noch nicht ausreichend nach.

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