Als die Mauer fiel, war ich elf Jahre alt. Ich muss gestehen, so richtig weiss ich gar nicht mehr, was ich an diesem Tag gemacht habe. Ich werde wohl zur Schule gegangen sein.
Dass die Grenzen geöffnet sind, habe ich dann am Abend von meinen Eltern erfahren. Woher die die Nachricht hatten, weiss ich aber gar nicht mehr so genau. Auf jeden Fall nicht aus dem TV. Denn wir hatten damals noch gar keinen Fernseher.
Nette Verkäuferin und vorlaute Teenies
Die Freude über den Fall der Mauer war auf jeden Fall riesengross – in der gesamten Familie. Dass wir nun ungehindert reisen können, wann und wohin auch immer wir wollen, hat uns alle in Euphorie versetzt.
Dabei war die erste Reise kurz – dauerte keine drei Stunden. Sie führte nach Hof und ich weiss noch, dass wir in einem Laden Post- und Glückwunschkarten gekauft haben und die Verkäuferin uns daraufhin einen ganzen Stapel an Karten schenkte.
Auch haben wir Kinder immer wieder Süssigkeiten zugesteckt bekommen. Irgendwie war das wie Schlaraffenland für uns. Das war eine schöne erste Erinnerung. Weniger schön fand ich damals, wie die einheimischen Jugendlichen um unsere Ost-Autos herum standen und sich abfällig äusserten.
Jeder kann tun, was er möchte
Überhaupt erinnere ich mich immer wieder gern an den Herbst 1989 und die nachfolgenden Ereignisse. Vor allem wegen des wunderbaren Gefühls von Freiheit und dem Wissen, dass man nun «unbegrenzt» ist – in seinem Leben und seinen Möglichkeiten. Dass man ab sofort tun kann, was man möchte.
Klar, viele Wessis haben sich im Osten damals eine goldene Nase verdient, manche Einheimische erlebten nach dem Verlust ihrer Jobs einen tiefen Fall. Aber in unserer Familie war das nicht der Fall. Meine Eltern haben sich mit einer Heizungs- und Sanitärfirma selbständig gemacht. Eine gute Entscheidung, denn die Firma läuft auch heute noch gut.
Alles ist möglich: Südafrika, USA, Emirate und mehr
Mein Leben ist durch den Mauerfall weder einfacher noch schwieriger geworden, sondern einfach nur anders. Ich konnte mein Abitur machen, dass wäre in der DDR eventuell so nicht möglich gewesen. Später war ich für viele Praktika im Ausland. Auch das wäre vorher mit Sicherheit so nicht gegangen.
Ohne die Wende hätte ich auch nicht den Beruf wählen können, den ich jetzt mache. Und ohne den hätte ich wiederum nicht all die tollen Reisen machen können – nicht all die Kulturen kennenlernen, die ich unbedingt kennenlernen wollte.
Ich durfte zum Beispiel in Südafrika die Hochzeit meiner Schwester erleben. Die Landschaft dort und das besondere Licht werde ich nie vergessen – genauso wie den guten Wein.
In den USA war ich für ein paar Monate wegen eines Praktikums. Für mich war es tatsächlich das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ich habe dort Menschen kennengelernt, die entgegen dem Klischee überhaupt nicht oberflächlich waren.
Und ich war für ein paar Monate in den Emiraten. Das war zwar eine komplett andere Kultur, aber das Land hat mich trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen enorm beeindruckt.
«Deutsche sind doof – ausser du natürlich»
Wegen des Jobs bin ich 2007 in der Schweiz gekommen. Hier kann ich ein sehr gutes Leben mit hoher Qualität führen. Zürich hat eine sehr gute Infrastruktur, was wunderbar passt. Und sowohl das Berufs- als auch das Freizeitangebot sind enorm. Dazu noch die Berge – perfekt.
Hinzu kommt für mich, dass ich schnell im Süden und am Meer sein kann. Ich habe hier wunderbare Freunde gefunden. Viele davon interessieren sich auch für meine ostdeutsche Geschichte. Das finde ich gut.
Grossartig Dinge, die mich hier stören, gibt es kaum. Nur das Denken einiger weniger Schweizer hinsichtlich der Deutschen, das ist manchmal schon etwas unschön. Aber wenn einmal über uns hergezogen und wenn ich dann zu meinen Freunden sage: «Stopp mal, ich bin doch aber auch Deutsche», dann heisst es: «Du bist damit natürlich nicht gemeint.» Dann lachen wir gemeinsam darüber.
Wir sind anders, im Reden, Handeln und Benehmen
Recht schade ist auch, dass alle Deutschen über einen Kamm geschert werden. Denn nicht alle sind laut, fordernd und arrogant, wie es teilweise erzählt wird. Es gibt solche und solche – wie überall.
Gerade in meiner alten Heimat habe ich das Gefühl, dass die Menschen angenehm zurückhaltend sind. Ich fühle mich ihnen nach wie vor verbunden. Sie sind mir einfach ähnlich: im Denken, Handeln, Reden und Benehmen.
«Das sind mein Land, meine Menschen. Das ist die Welt, die ich versteh», sang mal eine ostdeutsche Band – treffender könnte ich es auch nicht beschreiben.
Liebe mein Leben, das Heute und die Zukunft
Die Schweiz ist mittlerweile meine Heimat – keine Frage. Hier habe ich meinen festen Freundeskreis, hier fühle mich wohl in meinem Job. Klar, wenn ich in meine alte Heimat fahre, dann fühle ich mich da auch wohl – aber so richtig Zuhause, das ist dann eben doch hier.
Und sonst? Ich liebe mein Leben, so wie es bisher gelaufen ist. Ich bin überglücklich und sehr dankbar über die Möglichkeiten, die ich hatte und habe – die Türen, die mir offenstehen, und freue mich auf alles, was da noch kommt.