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Schweiz «Die Aufsicht hat ganz offensichtlich versagt»

Rund eine Milliarde gibt der Bund jedes Jahr für Informatik aus. Und immer wieder kommt es dabei zu Skandalen – Dutzende Millionen werden in den Sand gesetzt. Der Verdacht auf Korruption taucht auf oder die Vergabe lukrativer Aufträge ist undurchsichtig. Bundeshaus-Redaktor Dominik Meier erklärt.

SRF: Diese Woche hat der «Tages-Anzeiger» einen mutmasslichen Korruptionsskandal im Staatssekretariat für Wirtschaft aufgedeckt. Hat da die Aufsicht im Seco versagt?

Dominik Meier: Ja, wenn die aktuellen Vorwürfe zutreffen, dann ganz offensichtlich. Die Bestechung soll im Bereich der Arbeitslosenversicherung passiert sein. Dieser Bereich gehört zum Seco. Doch er ist einer Aufsichtskommission unterstellt, und dort sitzen auch Vertreter der Kantone. Also stehen auch sie hier mutmasslich – wenn die Vorwürfe zutreffen – klar in der Verantwortung. Interessant ist, dass dieser Bereich der Arbeitslosenversicherung schon einmal im Visier einer Aufsichtsbehörde war: Jener der Finanzkontrolle.

Das ist so etwas wie die interne Polizei der Bundesverwaltung. Vor zwei Jahren intervenierte sie, weil das Seco einen Auftrag von 20 Millionen Franken ohne Ausschreibung an eine Informatikfirma vergeben wollte. Die Finanzkontrolle bemängelte den Preis und den Fakt, dass es keine Ausschreibung gab. Das Seco setzte sich schliesslich durch, doch die Finanzkontrolle blieb dran. Sie plante, diesen Frühling den Bereich Informatik und Arbeitslosenversicherung nochmals anzuschauen.

Bereits vor zwei Wochen sorgte das Seco für Negativschlagzeilen, als herausgekommen ist, dass es Aufträge im Umfang von 34 Millionen Franken ohne Ausschreibung vergeben hatte. Auch dies hauptsächlich bei der Arbeitslosenversicherung. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den undurchsichtigen Vergaben und dem mutmasslichen Korruptionsskandal?

Dominik Meier
Legende: Die Vergabe von Aufträgen unter der Hand schafften «Grauzonen», sagt SRF-Bundeshausredaktor Dominik Meier. SRF

Man muss natürlich zunächst trennen zwischen mutmasslicher Bestechung – also einer mutmasslichen Straftat – und der Vergabe von Aufträgen ohne Ausschreibung an Privatfirmen. Letzteres ist nicht zwingend illegal, sondern bloss heikel. Denn ein solches Vorgehen müsste die Ausnahme sein. Und das war es in diesem Ausmass bei der Arbeitslosenversicherung ganz offensichtlich nicht.

Solche Aufträge ohne Ausschreibung finden in Grauzonen statt. Und in Grauzonen herrscht naturgemäss wenig Transparenz. Das kann Bestechung begünstigen: dass man sich beschenken oder bezahlen lässt und im Gegenzug eine Firma, die überteuert offeriert, bevorzugt. Es ist ein guter Nährboden. Ob es aber einen direkten Zusammenhang gab im Seco zwischen den ausgebliebenen Ausschreibungen und der mutmasslichen Bestechung, das werden die Untersuchungen nun hoffentlich zeigen.

Immer wieder gibt es Skandale um Informatikprojekte des Bundes. Das 100-Millionen-Debakel Insieme oder jetzt das Seco sind nur zwei Stichworte. Wenn man die Informatikprobleme des Bundes gesamthaft betrachtet: Über welche Dimensionen sprechen wir da?

Sie haben Insieme erwähnt, das gescheiterte Computersystem der Steuerverwaltung. Da könnten bis zu 100 Millionen Franken verloren gegangen sein. Das Justizdepartement setzte vor kurzem fast 20 Millionen in den Sand für ein Telefonüberwachungssystem, das gar nie funktioniert hat. Und dann kommen all die Projekte hinzu, die viel teurer wurden als geplant.

Ein Beispiel: Im Bundesamt für Strassen sind die Kosten bei gleich zwei Systemen förmlich explodiert. Hier geht es um mehrere Dutzend Millionen Franken. Klar, man muss es ins Verhältnis setzen. Der Bund zahlt Jahr für Jahr gut eine Milliarde Franken für Informatik. Aber trotzdem, es geht um viel Geld, das hier verloren geht.

Sind denn die Ursachen dieser Probleme bei der Vergabe und den Kosten von Informatikprojekten immer dieselben?

Nein, die Gründe gehen weit auseinander. Da gibt es im Seco jetzt – mutmasslich – Kriminalität, Bestechung. Einen vergleichbaren Verdachtsfall gab es vor zwei Jahren beim Bundesamt für Umwelt. Da läuft die Untersuchung noch. Viel häufiger als Bestechung, also kriminelle Energie, stecken andere, weniger spektakuläre Probleme dahinter. Führungsprobleme etwa: Dass Aufträge nicht klar festgelegt sind, oder dass Verantwortliche ein Projekt viel zu lange einfach laufen lassen, obwohl die Kosten aus dem Ruder laufen. Die Aufsicht ist ein Problem. Der Bundesrat hat erst letztes Jahr, nach Insieme, die Aufsicht über Informatikprojekte verschärft. Wir wissen noch nicht, ob sich das positiv auswirkt.

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Und dann hat die Informatik etwas Spezielles: Dort ist die Verwaltung ungeheuer abhängig von Privatfirmen. In keinem anderen Bereich sind die Aufträge so stark an die Privatwirtschaft ausgelagert. Das kann natürlich Kosten sparen, weil man nur zahlt, wenn man Spezialisten braucht. Aber es schafft sehr rasch grosse Abhängigkeiten – und vor allem Nähe zwischen Firmen, die klare Geschäftsinteressen haben, und ihrem Auftraggebern in den Bundesbüros. Menschliche und fachliche Nähe: Das kann eine Gefahr werden für echten Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern.

Es gibt Richtlinien, wann Projekte öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Sind die zu lax?

Zunächst muss man feststellen, dass sie in der Vergangenheit nicht immer eingehalten wurden, und dass diese Grauzonen bei den Vergaben ohne Ausschreibung zu gross sind. Parlamentarier und vor allem die Finanzdelegation – die Aufsichtsbehörde des Parlaments – verlangen seit längerem schärfere Regeln. Sie verlangen zum Beispiel schwarze Listen von Firmen, die häufig die Kosten überzogen haben, damit diese blockiert werden und keine Aufträge mehr erhalten. Oder eine klare Übersicht über all die Firmen, die Aufträge erhalten: Dann sieht man vielleicht Häufungen. Oder auch dass alle Aufträge ab 50'000 Franken öffentlich machen muss. Heute ist die Limite viel höher. Diese Forderungen sind deponiert. Der Bundesrat prüft im Moment eine Revision der Gesetzgebung. Alle diese Vorschläge seien ein Thema, hiess es heute auf Anfrage. Aber ob der Bundesrat in diese Richtung gehen wird, erfahren wir wohl erst in ein paar Monaten.

Das Gespräch führte Roman Fillinger.

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