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Die Staumauer des Zervraila-Stausees.
Legende: Die Schweiz ist nicht der einzige Produzent von Wasserkraft in Europa. Keystone

Schweiz Die ungewisse Zukunft des Schweizer Strommarktes

Landesgrenzen stellen künftig keine Hindernisse mehr für den Energietransfer innerhalb der EU dar. Die Schweiz nimmt allerdings nicht an diesem Binnenmarkt teil. Der Energieökonom Rolf Wüstenhagen glaubt, dass dies langfristig ein Nachteil sein kann.

SRF News: Im Moment ist die Schweiz im europäischen Energiemarkt aussen vor. Was bedeutet das?

Rolf Wüstenhagen

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Professor Wüstenhagen ist Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie an der Universität St. Gallen. Seine Hauptforschungsgebiete sind das Management erneuerbarer Energien und das Entscheidungsverhalten von Energieinvestoren unter Unsicherheit.

Rolf Wüstenhagen: Das ist einerseits bedauerlich, weil ein internationaler Stromhandel Effizienzgewinne verspricht und Investitionssicherheit schafft. Andererseits entspricht es der politischen Grosswetterlage.

Was heisst es für die Zukunft, wenn das so bleibt?

Für die Schweizer Stromversorger wird es auf absehbare Zeit schwierig sein, vollkommen am europäischen Strommarkt teilzunehmen. Voraussichtlich wird man sich stärker auf die Aktivitäten im Inland konzentrieren müssen.

Was bedeutet dies für Privathaushalte oder die Industrie?

Die Industrie findet Wege, am europäischen Strommarkt zu partizipieren. Das sieht man schon heute beispielsweise an Investitionen im Ausland. Für die Haushalte sind die Auswirkungen überschaubar. Die EU hat eine Studie in Auftrag gegeben, in der die Effizienzgewinne der neuen Stromhandlungsregime versucht werden zu quantifizieren. Sie ist zum Ergebnis gekommen, dass das im Bereich von etwa 5 bis 8 Euro pro Haushalt und Jahr liegt. Wir sprechen also von Effizienzgewinnen, die wenn man sie auf den einzelnen Haushalt runterrechnet, im Bereich von einigen Rappen pro Monat liegen.

Kurzfristig gibt es Handelsbeziehungen. Mittel- bis langfristig wird ein solches Abseitsstehen Nachteile bringen.

Sie sagen aber trotzdem, dass die Situation bedauerlich ist. Was ist denn das Grundproblem?

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Es ist ein bisschen wie in der Forschungspolitik. Wir sind selbst an EU-Forschungsprojekten beteiligt. In diesem Bereich hat die EU gesagt, dass aufgrund der politischen Situation in der Schweiz, gewisse Dinge auf Eis gelegt werden. Kurzfristig ist dies kein Problem. Man findet trotzdem einen Weg, Konsortien mit europäischen Partnern zu bilden. Kurz- bis mittelfristig geht das. Langfristig führt das aber dazu, dass sich andere Partner in Europa zweimal überlegen, ob sie nun mit Schweizer Partnern zusammenarbeiten. Im Strommarkt ist das ähnlich: Kurzfristig gibt es Handelsbeziehungen. Mittel- bis langfristig wird ein solches Abseitsstehen Nachteile bringen.

Spielt der starke Franken auch eine Rolle?

Der starke Franken hat verschiedene Auswirkungen für verschiedene Akteure am Strommarkt. Einfach gesagt: Wer exportiert, hat Nachteile. Wer importiert, hat Vorteile. Wenn man Schweizer Wasserkraftproduzent ist und seinen Strom in Deutschland verkaufen möchte, ist der starke Franken ein Nachteil. Wenn man ein Industriebetrieb oder ein mittelgrosser Energieversorger in der Schweiz ist, der direkt an der europäischen Strombörse einkauft, ist der starke Frankenkurs ein Vorteil.

Es gibt Alternativen, welche die EU prüft.

Hat die EU überhaupt ein Interesse daran, die Schweiz beim Energiebinnenmarkt mit ins Boot zu holen?

Grundsätzlich versucht die EU, einheitliche Regelungen in ganz Europa umzusetzen und eine möglichst grosse Effizienz im Stromhandelsbereich zu erzielen. Das spricht für eine Einbindung der Schweiz. Auch die Wasserkraft, die es in der Schweiz gibt, ist komplementär zum starken Ausbau von Solar- und Windenergie in Italien und Deutschland. Hier besteht ein Interesse der EU. Andererseits wird dieses Interesse gegenüber anderen institutionellen Aspekten abgewogen. Die Schweiz ist zudem nicht der einzige Anbieter im europäischen Raum für Wasserkraft und solche Flexibilitätsdienstleistungen. Da gibt es andere Länder wie Österreich oder Norwegen. In Norwegen gibt es etwa vier Mal so viel Wasserkraft wie in der Schweiz. Das sind Alternativen, welche die EU natürlich auch anschaut.

Kann die Schweiz auch ohne die EU?

Auch hier ist das kurz- bis mittelfristig heute schon der Fall. Man findet auch heute ohne Stromabkommen Wege miteinander Handel zu betreiben. Bleibt es langfristig bei dieser Situation, wäre es aus hilfreich, sich stärker zu überlegen, wie ein Schweizer Stromsystem aussehen kann, das nicht so stark vom internationalen Handel profitiert, sondern stärker die Chancen nutzt, die im Inland bestehen.

Die EU könnte also auch ohne die Schweiz?

So kann man das sagen.

Die Stromproduktion im Inland muss ausgebaut werden.

Die Schweiz müsste also energietechnisch autonomer werden?

Es wird in diese Richtung gehen. Man sollte vermutlich nicht davon ausgehen, dass ein grosser Anteil des Strombedarfs durch Importe gedeckt werden kann. Viel eher müsste man die Stromproduktion im Inland ausbauen.

Das Gespräch führte Philippe Chappuis.

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