Im sogenannten «Weckruf gegen Hunger und Armut» fordern die Hilfsorganisationen die Schweiz auf, nicht nur Nothilfe zu leisten, sondern sich aktiv am Aufbau in Entwicklungsländern zu beteiligen. In dem Aufruf verlangen die Organisationen – angeführt von Alliance Sud –, dass künftig nicht 0,4 Prozent sondern 0,7 Prozent des Nationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit eingesetzt werden.
Vor fünf Jahren hatte das Parlament beschlossen, dass 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts in die Entwicklungszusammenarbeit investiert werden sollen. Für 0,4 Prozent sprach sich eine knappe Mehrheit der nationalrätlichen Finanzkommission letzte Woche aus.
Die 0,5 Prozent seien ein Beschluss aus finanziell ergiebigeren Zeiten, heute müsse der Bund sparen, sagt SVP-Finanzpolitiker Thomas Aeschi: «Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten, so viel Geld für die Entwicklungshilfe auszugeben. Ausser wir würden in anderen Bereichen grosse Einschnitte vornehmen. Und dazu sind wir nicht bereit.»
Wir haben für das Jahr 2018 strukturelle Defizite, die Schuldengrenze würde verletzt – ausser wir ergreifen jetzt Massnahmen.
Mit 0,4 Prozent würde die Schweiz ihre Entwicklungshilfe in Frankenbeträgen gar nicht kürzen, sondern plafonieren, so Aeschi. Hilfswerke hingegen monieren, die Zahlen seien nicht vergleichbar. Wie auch immer: Die Schweiz zahle schon heute viel, sagt Albert Vitali, Finanzpolitiker von der FDP: «Die Schweiz ist mit den 11,35 Milliarden Franken in den Jahren 2013-16 sehr grosszügig gefahren.»
Beim Sparen müsse der Bund nun den Hebel überall ansetzen – auch bei der Entwicklungszusammenarbeit, so der Luzerner FDP-Nationalrat. Vitali geht damit auf Opposition zum eigenen Bundesrat, Aussenminister Didier Burkhalter. Doch Vitalis Ansicht teilen nicht alle in der FDP-Fraktion.
Wer dem Elend ins Auge geblickt hat, verliert vielleicht ein bisschen seine liberale Unschuld.
Die langjährige FDP-Aussenpolitikerin Doris Fiala etwa meint: Sparen bei der Entwicklungshilfe, mitten in der Flüchtlingskrise, wo alles «Hilfe vor Ort» predige, sei nicht redlich. Es gelte, die grossen Zusammenhänge im Auge zu behalten – dann erkenne man auch die grossen Gefahren: «Pandemien, Cyber-Kriminalität, organisiertes Verbrechen, Menschenhandel, Terrorismus oder Flüchtlingswesen – all diese Risiken sind global, und sie bedürfen globaler Antworten.»
Entwicklungshilfe sei eine globale Antwort. Komme hinzu, so Kathy Riklin von der CVP: Erst gerade habe doch der Bund einen Überschuss von mehr als zwei Milliarden Franken präsentiert: «Ich sehe keinen Grund und auch keine Not, dass wir die Entwicklungshilfe jetzt einfach zusammenstreichen.»
SVP-Nationalrat Aeschi hingegen warnt: Schon die nächsten Jahre würden düsterer: «Wir haben für das Jahr 2018 strukturelle Defizite, die Schuldengrenze würde verletzt – ausser wir ergreifen jetzt Massnahmen.»
Entwicklungshilfe als Herzensanliegen
Innerhalb der SVP ist diese Ansicht unbestritten. Doch schon in der FDP sind sich nicht mehr alle einig. Und die CVP werde die Kürzung, wie sie die Finanzkommission vorschlage, nicht mittragen, sagte ihr designierter Präsident Gerhard Pfister bereits verschiedentlich.
Für viele Bürgerliche ist Entwicklungszusammenarbeit ein Herzensanliegen. Etwa für FDP-Nationalrätin Fiala, die Flüchtlingslager in der Türkei und Jordanien besuchte: «Wenn man dieses Elend live gesehen hat, diskutiert man ein bisschen anders. Ich würde sagen: Wer dem Elend ins Auge geblickt hat, verliert vielleicht ein bisschen seine liberale Unschuld.»
Überzeugt Fiala in der eigenen Fraktion, dürfte das Parlament also am Wert von 0,5 Prozent des Bruttosozialprodukts festhalten.