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Ein Schüler vor einer Wandtafel im Deutschunterricht.
Legende: Deutsch als Pflicht – auch auf dem Pausenplatz. So will es der Egerkinger Gemeinderat. Keystone/Symbolbild

Schweiz «Es braucht einen Grundsatzentscheid der Gerichte»

Der Egerkinger Gemeinderat bleibt hart: Auf dem Pausenplatz wird Deutsch gesprochen. Jürg Brühlmann vom Dachverband der Lehrer übt scharfe Kritik. Der Entscheid sei praktisch nicht umsetzbar und verfassungswidrig.

SRF News: Wie kann ein Lehrer durchsetzen, dass auf dem Pausenplatz Deutsch gesprochen wird?

Jürg Brühlmann

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Legende: LCH

Der Thurgauer leitet die Pädagogische Arbeitsstelle des Dachverbandes der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer LCH und ist Mitglied der Geschäftsleitung.

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Jürg Brühlmann: Nur schon das wird ein Problem werden. Jede Gruppe, die sich auf dem Pausenplatz aufhält, müsste quasi einen persönlichen Betreuer haben.

Stand jetzt ist: Die Lehrer müssen. Was sagen Sie den Kolleginnen und Kollegen – was sollen sie tun?

Ich habe mit einigen gesprochen und sie empfehlen wegzuhören und wegzuschauen. Sie finden den Entscheid skandalös. Auch wenn man wollte, wäre es in der Praxis enorm schwierig, so etwas durchzusetzen.

Was machen Sie, wenn weitere Gemeinden dem Beispiel Egerkingen folgen sollten?

Egerkingen allein reicht schon. Aber wenn der Fall Schule machen würde, müsste man juristisch aktiv werden. Dafür gibt es zwei Gründe: Das eine ist der Übergriff auf die operative Ebene: Eine Behörde kann durchaus sagen, es gebe ein Problem an einer Schule – etwa mit Mobbing. Sie kann einfordern, dass das besser wird. Das ist normal. Wenn die Behörde aber diktiert, was getan werden muss, geht sie ganz klar zu weit. Das zweite ist die juristische Ebene: In der Schweizer Verfassung gibt es Artikel zur Sprachenfreiheit und Gleichbehandlung aller Menschen. Diesbezüglich geht der Entscheid des Egerkinger Gemeinderats ganz klar zu weit.

Man kann nicht einfach hingehen und befehlen, welche Sprache gesprochen wird.

Sprachenfreiheit heisst, dass man – sei es auf dem Pausenplatz oder in der Familie – so sprechen darf, wie man möchte. Ein Beispiel dazu: Wenn eine Familie aus der Romandie in der Deutschschweiz lebt, muss sie zuhause französisch sprechen dürfen. Unterdessen gibt es auch im Kanton Thurgau einen Parlamentsentscheid. Er zwingt Kinder dazu, Deutsch zu sprechen. Ansonsten müssen die Eltern zahlen für Deutschunterricht für Zweisprachige. In Egerkingen ist es genauso: Pausen sind Pausen. Man kann nicht einfach hingehen und befehlen, welche Sprache gesprochen wird.

Eine Schülergruppe in der Pause
Legende: Eine Aufsichtsperson für jedes Grüppchen? Dieses Szenario droht in Egerkingen, sagt Brühlmann. Keystone/Symbolbild

Die Solothurner SP hat bei der Regierung eine Aufsichtsbeschwerde gegen diese Deutschpflicht eingereicht. Glauben Sie, dass diese Beschwerde etwas bewirken wird?

Wir hoffen natürllich, dass in solchen Fällen Grundsatzentscheide getroffen werden. Es ist denkbar, dass so etwas beim obersten kantonalen Gericht, wahrscheinlich dem Verwaltungsgericht, landet. Je nachdem, wie der Entscheid ausfällt, kann man bis vor Bundesgericht gehen. Es braucht wahrscheinlich diese Gerichtsentscheide, um Klarheit zu bekommen.

Was also wird der Lehrerverband jetzt tun? Sollen Ihre Kollegen bis vor Bundesgericht klagen oder werden Sie den Entscheid mittragen und mitzugestalten versuchen?

Eine Lehrperson kann oft gar nicht selber klagen. Sie kann nur gegen Übergriffe der Gemeindebehörde auf professionelle Gestaltungsmöglichkeiten im Unterricht klagen. Mehr Möglichkeiten haben die Eltern der betroffenen Schüler. Sie sind aber in einer sehr schwachen Position: Sie müssten schnell einmal 10'000 bis 20'000 Franken in die Hände nehmen, um eine Klage durchzuziehen. Ob sich Eltern für so etwas hergeben, ist fraglich. Vielleicht ist das Kind schon aus der Schule, bis ein Entscheid fällt. Hier braucht es starke Partner. Das kann eine Partei, ein Verein oder auch eine Privatperson sein.

Und was macht der Dachverband der Lehrerinnen und Lehrer jetzt – einfach mal abwarten?

Im Fall Egerkingen sind wie überall zuerst einmal die kantonalen Verbände gefordert. Sie treten dann an uns heran. Manchmal werden wir auch selber aktiv und erkundigen uns, was in einem speziellen Fall läuft. Wenn bereits eine Partei aktiv ist (es ist eine Aufsichtsbeschwerde der betroffenen Primarschule hängig, Anm. d. Red.), warten wir ab. Es gibt zurzeit keinen konkreten Fall, in dem ein Entscheid gefällt wurde. Also kann nur eine abstrakte Normenkontrolle veranlasst werden – und die müsste im Idealfall von Personen kommen, die direkt betroffen sind. Ein Strang ist die Aufsichtsbeschwerde. Ein zweiter wäre ein gerichtliches Vorgehen von Eltern – für den Lehrerverband wäre dies sehr viel schwerer zu begleiten.

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