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Schweiz «Es wurde eine neue Dimension öffentlicher Medienkritik erreicht»

Nach dem Flugzeugabsturz standen die Medien vor dem Entscheid: Namen nennen? Viele Medien gewichteten das öffentliche Interesse höher als die Privatsphäre der Angehörigen. Im Internet ist darüber eine Debatte entbrannt. Vinzenz Wyss, Journalistikprofessor, hat sich damit befasst.

SRF News: Hat Sie die Resonanz in den sozialen Medien auf die Berichterstattung über den Flugzeugabsturz letzte Woche überrascht?

Vinzenz Wyss: Ich beobachte, dass mit diesem Fall Germanwings eine ganz neue Dimension der öffentlichen Medienkritik erreicht wurde. Tatsächlich haben wir es in den sozialen Medien mit einer sehr starken Angriffigkeit zu tun. Journalisten werden öffentlich dafür kritisiert, dass sie den Namen des Co-Piloten genannt haben. Selbstverständlich entsteht durch diese Wucht in den sozialen Medien auch ein Druck auf Medienschaffende, trotzdem den Namen zu nennen. Vielleicht nehmen sie sich gar nicht mehr die Zeit, um diese Güterabwägung dann reflektiert vorzunehmen.

Vinzenz Wyss

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Porträt Vinzenz Wyss
Legende: © IAM/Manuel Bauer

Wyss ist Professor für Journalistik am Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Winterthur. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem Medienethik und Qualitätsmanagement im Journalismus.

Sie schildern ein neues Phänomen: Entsteht eine neue Öffentlichkeit, in der Medienkritik stattfindet?

Wir haben generell das Problem, dass Medien sich nicht gerne selber kritisieren. Nun haben wir aber in der Blogosphäre, in Kommentarspalten und bei anderen Gelegenheiten zunehmend die Möglichkeit, Kritik zu üben. Dieses Phänomen ist viel stärker als zu früheren Zeiten. Wir haben sogar eine dritte Dimension, eine weitere Ebene der Beobachtung. Jetzt werden sogar auch Kritiker kritisiert. Auf der einen Seite ist das funktional, ist es gut, dass Medien gezwungen werden, sich zu rechtfertigen, auf der anderen Seite haben wir mit dieser Blogosphäre viele Gerüchte. Man konnte zum Beispiel lesen, dass der Co-Pilot eventuell vom Christentum zum Islam bekehrt wurde. Das sind dann die Schattenseiten. Generell stelle ich eine Zunahme der öffentlichen Medienkritik fest, und das ist eigentlich funktional.

Diese sozialen Medien sind Feedback-Kanäle, auf denen das Publikum Rückmeldungen geben kann. Wird die Medienlandschaft dadurch demokratischer?

Einige Beispiele zur Debatte

Von Demokratisierung würde ich nicht sprechen. Dafür fehlen einige weitere Faktoren. Früher hatten wir Medien, die in solchen Fällen relativ zurückhaltend operiert haben. Mit dem Internet hatten wir dann Empörungsberichterstattung. Ich stelle fest, dass sich das auch geändert hat. In diesem Fall Germanwings haben wir tatsächlich in der Blogosphäre sehr seriöse, reflektierte, medienkritische Beiträge und auf der anderen Seite eine Medienbranche, die doch stark unter Druck gekommen ist und sich rechtfertigen muss, und die auch ein bisschen mimosenhaft darauf reagiert. Also insofern kann man doch sagen: Der Druck der öffentlichen Medienkritik zwingt Medien dazu, sich selber zu legitimieren, nach aussen zu begründen, wieso man in gewissen Fällen so entschieden hat.

Es gab einige Legitimierungsversuche: Journalisten und Chefredaktoren haben ihre Entscheidungen öffentlich begründet. Wird das die Berichterstattung der Medien verändern?

Es handelt sich um ein neues Phänomen, das hoffen lässt. Medien werden durch Fremdbeobachtung dazu gezwungen, sich selber mehr zu beobachten. Sie müssen transparenter machen, weshalb gewisse Entscheidungen so getroffen wurden und nicht anders. Der Druck auf die Medien wächst: Über die traditionelle Berichterstattung hinaus sollen sie nun auch eine Art metakommunikative Packungsbeilage mitliefern und transparent machen, wie und weshalb gewisse Entscheidungen zustande gekommen sind. Für den öffentlichen Diskurs ist das sicher eine gute Sache.

Das Gespräch führte Lukas Mäder.

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